Campus-Web Bewertung: 4/5
   
Fünf Geschichten an fünf unterschiedlichen Orten der Welt - Fünf Geschichten von Menschen, die sich untereinander nicht kennen, und doch in ähnlichen Situationen stecken. Und auch am Ende werden diese Menschen nicht zusammen kommen, denn auf einen zusammenführenden Plot zwischen den Handlungssträngen legt Martin Gypkens in seinem neuen Film „Nichts als Gespenster“ keinen großen Wert. Und doch haben die Geschichten, deren Vorlagen aus Judith Hermanns gleichnamiger Kurzgeschichten-Sammlung, sowie dem Vorgänger „Sommerhaus, später“ stammen, etwas gemeinsam: Es geht um die Emotionen von Menschen, die sich, getrieben von ihrer Sehnsucht, auf eine Reise begeben - die versuchen fernab der gewohnten Umgebung Glück, Liebe und etwas Aufregendes zu finden.

Action- oder temporeiche Szenen muss der Zuschauer bei diesem Film nicht erwarten. Begleitet werden einfach ganz normale Menschen, wie Ellen und Felix (Maria Simon und Augsut Diehl), die sich auf ihrer Amerikareise nicht viel zu sagen haben. Man wartet darauf, dass das Paar endlich mehr miteinander redet, aber auch im weiteren Verlauf der Reise nähern die beiden sich nicht an. Beide sind auf der Suche nach Abenteuer, wobei Ellen einen Urlaub möchte, von dem sie ihren Freunden zu Hause erzählen kann. Felix möchte viel lieber ab von den Touristenpfaden etwas erleben. Ihm reicht es nicht, nur das Amerika zu sehen, das in all den Filmen gezeigt wird. Je weiter sie fahren desto weiter wird auch die Kluft zwischen ihnen. Aufgelockert wird die Fahrt erst, als die beiden in einer Kleinstadt eine schräge Bekanntschaft machen.

In Venedig ist die Kommunikation zwischen Marion (Fritzi Haberlandt) und ihren Eltern, denen sie nachreist, auch nicht besser. Nachdem sie schon einsam ihren 30. Geburtstag feiert, flüchtet sie in die überfüllte Stadt. Ihre Mutter plappert belangloses Zeug vor sich hin und Marion verbringt die meiste Zeit ohne Eltern. Und auch zwischen den Touristenmassen findet sie keine Erlösung vor der Einsamkeit. Nur die Begegnungen mit einem dreisten Fremden scheinen etwas in ihr zu regen.

Von Touristen wird man in der weitläufigen Schneelandschaft Islands dagegen kaum bedrängt. Dorthin verschlägt es Jonas und Irene (Wotan Wilke Möhring und Ina Weisse). Sie brauchen Ablenkung nachdem sich beide von ihren Partnern getrennt haben. Bei einem Freund von Irene und dessen Frau finden sie Unterkunft. Die Männer scheinen sich in dieser Konstellation wohl zu fühlen, bei den Frauen entstehen hingegen noch mehr Sehnsüchte, die Probleme mit sich bringen.

Auch Kaspar (Janek Rieke) muss sich auf Jamaika, mit einer vergangenen Beziehung befassen. Seine Ex-Freundin Nora ist zu Besuch. Kaspar möchte seine Verflossene an dem neuen Leben teilhaben lassen, das er sich auf der Insel aufgebaut hat. Sie verbringt aber viel Zeit mit ihrer Freundin, die sie begleitet, anstatt ihm ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Die Frauen (Jessica Schwarze und Brigitte Hobmeier) geniessen die Zeit am Strand. Während ein dauerhaftes Leben auf der Insel für sie nur eine nette Vorstellung ist, abseits ihrer gewohnten Realität, ist die ganze Situation für Kaspar harter Alltag.

Nur eine kurze Zugfahrt entfernt ist der Besuch von Caro bei ihrer langjährigen Freundin Ruth (Karina Plachetka und Chiara Schoras). Doch auch auf einer Reise innerhalb der Landesgrenzen entstehen Sehnsüchte. Ruth hat einen neuen Freund (Stipe Erceg), und obwohl sie schon ahnen kann, dass der nichts Festes will, möchte sie erstmal die Meinung ihrer Freundin hören. Als Caro ihn trifft fühlen sich beide direkt zueinander hingezogen. Obwohl sie weiss, dass sie ihre Freundin damit verletzen würde, zieht der Charme dieses Mannes sie in ihren Bann.

Egal ob in der Kälte Islands oder an einem der heissen Strände Jamaikas suchen all diese Figuren nach Geborgenheit und Abwechslung zu ihrem Alltag. Dabei zieht es einige der Personen weiter weg als die Anderen und doch haben alle dasselbe Ziel: Das Stillen einer Sehnsucht, die sie in der gewohnten Umgebung nicht lindern können. Doch auch fernab der Heimat bleiben alte Gefühle, kommen neue Probleme dazu und die Suchenden bleiben auf der Suche.

Die melancholische Atmosphäre, die der Film dabei ausstrahlt wird von eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen begleitet. Die Wüste Nevadas kann dabei genauso wie die Gassen Venedigs Fernweh beim Zuschauer auslösen. Gespräche der Darsteller reissen einen dabei nicht unbedingt aus dem Träumen. Anstatt starker Dialoge wird in dem Film auf Ausdruck und Bilder gesetzt um die Gefühle der Figuren deutlich zu machen. Mit Hilfe der Besetzung der Schauspieler klappt das auch gut. Im Gegensatz zu den vielen Emotionen, die auf diese Weise offengelegt werden, lässt Martin Gypkens für den Zuschauer viele Lücken in der Handlung offen. Vorgeschichten und das Leben zu Hause, vor dem die Hauptfiguren davonrennen, werden wenn nur kurz angesprochen. Auch das Ende bleibt unaufgeklärt und offen. Selbst wenn man mehr erfahren möchte, bleibt dieser Teil doch der Phantasie des Publikums überlassen.
„Nichts als Gespenster“ ist ein Film mit wunderschönen Bildern und ohne heldenhafte Charaktere. Eine Beobachtung von Menschen, die viele Details und Nuancen in ihrem Ausdruck einfängt. Sie lässt das Ende offen für eigene Gedanken, anstatt sich dem Zuschauer aufzudrängen. Wer spannungsvolle Action oder leichte Unterhaltung sucht, ist aber in diesem Film falsch.

Kinostart: 29. November 2007

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