Campus-Web bewertung: 4/5
   
In „Free Rainer – Dein Fernseher lügt“ von Hans Weingartner („Die fetten Jahre sind vorbei“), spielt Moritz Bleibtreu den arroganten, kaputten Medienhai Rainer, der sich zum idealistischen Revoluzzer des neuen deutschen Fernsehens wandelt.

Melodramatische Arztschnulzen, abgeschmackte Doku-Soaps über Brustvergrößerung und Fettabsaugen, prollige Talkshow-Sprüche, Pornos im Abendprogramm... Rainer hat endgültig die Nase voll. Mit ausladender Geste wirft er seinen großformatigen Flachbildfernseher vom Dach seiner Berliner Hochhauswohnung. Unter Krachen zerbricht das Gerät gut zehn Stockwerke tiefer – und mit ihm Rainers altes Leben.

Apokalyptische Totalverblödung

Vormals fabrizierte der egozentrische, kokainabhängige Fernsehproduzent für seinen Sender TTS Boulevard und absurd quotenträchtigen TV-Trash, wie die Albtraumshow „Hol Dir das Superbaby“, bei der die Spermatozoen von drei Herzblatt-Kandidaten um die Wette schwimmen: „Wir beliefern die Leute so lange mit Dreck, bis sie Dreck sehen wollen.“ Doch ein Nahtoderlebnis öffnet dem Unsympath die Augen. Von seinem Gewissen geplagt wird der Saulus unversehens zum Paulus und gelobt, fortan Programm mit Anspruch zu gestalten: Ohne Erfolg, denn immer noch wird das Angebot von der Nachfrage in Form der Zuschauerquote diktiert – und die kann mit dem Programmniveau nicht mithalten. „Unsere Zuschauer sind ein opportunistisches Pack“, erklärt ihm sein Chef. „Die wollen Titten sehen und wissen, wie man Steuern spart.“

Doch das nimmt Rainer nicht hin. Er kündigt und zieht aus der sündigen Stadt ins stille Land, um gemeinsam mit der jungen Pegah (Elsa Sophie Gambard) und dem sozialophobischen Phillip (Milan Peschel) die Gesellschaft vor der „Propaganda“ der Medien und der apokalyptischen Totalverblödung zu retten. Der Plan: In mindestens 1000 der wenigen deutschen Haushalte, die mit einem Quotenzähler ausgestattet sind, die Telefonleitungen anzapfen, um dadurch die Zuschauerzahlen zu manipulieren und das neue Fernsehprogramm zu diktieren.

Ein Frühlingsmärchen

In optimistischen Bildern träumt „Free Rainer“ von einem geistigen Erwachen in Deutschland – ein „Frühlingsmärchen“: Menschen gehen neu aufeinander zu, informieren sich über Politik und Kultur, Alt und Jung spielen gemeinsam im Garten oder am Strand und wirken glücklich und befreit. Schillers Gedanken einer „ästhetischen Erziehung des Menschen“ charakterisiert nicht nur Handlung und Tonfall, sondern auch die Intention des Films selbst. Erneut erzählt Regisseur Weingarten vom Schicksal des Weltverbesserers, der es sowohl mit dem verfallenden Ethos der bürgerlichen Gesellschaft, als auch mit deren Konsequenz, den Widersprüchen seiner eigenen Person, aufnehmen will. Und Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu gibt sich auch hinter der Kamera idealistisch, wie es im Interview mit der mobil deutlich wird: „Das ist ja gerade der Trick bei Sendungen wie ‚DSDS’: Man guckt das nicht nur, weil diese Leute, die da vorgeführt werden, so peinlich oder großartig sind. Was viele toll finden, ist die Vorgabe, dass man durch die Anrufe aktiv daran teilhat. Eigentlich ist das perfide, jemandem vorzugaukeln, er hätte etwas mitbestimmt, und ihm gleichzeitig die Kohle aus der Tasche zu ziehen. Ein sensationell zynisches Gesellschaftsmodell.“

Mit der Naivität seiner Utopie will der Film die Gegenwart in ihrem Zynismus treffen. Dabei ist es bezeichnend, dass die Kritik (z.B. FAZ, SZ, Spiegel, taz...) Regisseur Weingarten einstimmig die Eindimensionalität des Films vorwirft. „Ihre Waffe ist der Zynismus, mein Schild ist die Naivität“, erklärt der Regisseur. Gerade die platte Vordergründigkeit der Konsumware Fernsehen will er also gleichsam gegen die Ware selbst ausspielen, um unbeschwert ihrem zynischen Hintersinn zu entgehen. Ob dies überzeugen kann, bleibt freilich Geschmacksfrage.

Kapitulation und Ironie

Dass mit der Umgestaltung des TV-Programms der gesellschaftliche Umschwung sozusagen automatisch sich einstellen soll, besiegelt aber, wenn auch unfreiwillig, gleichzeitig die vollständige Kapitulation des Einzelnen vor der Mache der Medienindustrie. Diese Schattenseite des Drehbuchs führt ein merkwürdiges Zusammenleben mit den vielen gelungenen ironischen Pointen (der TTS-Programmdirektor zum Beispiel wohnt in einem alten Nazibau und heißt sicher nicht zufällig „Gründgens“, wie der berühmte deutsche Theaterschauspieler und –regisseur, dessen „faustischen Pakt“ mit dem Hitler-Regime Klaus Mann in Mephisto porträtierte). Trotzdem besticht das Satirische darin, dass hinter dem fiktiv Überzeichneten des bodenlosen TV-Unsinns immer schon der Abgrund der kaum weniger absurden Realität lauert. Wir lernen, gesunderweise, über uns selbst zu lachen. In reizvollem Kontrast zur Satire selbst nämlich bleiben die Charaktere gerade als Einfältige so liebenswert, dass man gerne mit ihnen von einer „befreiten“ Zukunft träumt.

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