Kritik zum Schweizer Dokumentarfilm über die letzten Aussteiger-Hippies in Indien - Kinostart: 30. August 2007.
Die Tatsache, dass die 60er Jahre einen schier unerschöpflichen Quell an wilden Geschichten darstellen ist wohl nicht gerade neu. Angefangen mit Woodstock bis hin zu den 68er-Revolten spielten sich Freigeist-Märchen ab, die in der westlichen Welt der jüngsten Neuzeit bislang unerreicht blieben. Doch bekanntermaßen halten Märchen nur sehr selten der Wirklichkeit stand. Viele Hippies, die sich auf der Suche nach sich selbst auf die lange Reise nach Indien, der geistigen Heimat der Hippie-Bewegung, begaben verwirklichten ihren ganz persönlichen Traum von Frieden, Spiritualität, Freiheit und Drogenexzessen. Die meisten von ihnen traten aber relativ schnell wieder die Rückreise an. Einige jedoch führten ihr Aussteiger-Leben in Indien weiter und sind dort heute noch. Ein Schweizer Filmteam begab sich nun auf die Spuren dieser Menschen. Das Ergebnis ist „Hippie Masala“. Ein auf Zelluloid gebanntes modernes Märchen mit offenem Ende, gespickt mit Weisheiten und Erkenntnissen – aber auch Enttäuschungen.
Cesare aus Italien, der wohl Exotischste der Hippie-Migranten, fristet sein Leben als asketisch lebender Yogi-Mönch im Gebirge und hat eine kleine Schar nicht minder illuster dreinschauender Zeitgenossen um sich geschart. Meera aus Belgien hat sich als Eremit in der indischen Wildnis niedergelassen und genießt ihr Leben in der Abgeschiedenheit – dieses verläuft jedoch alles andere als problemlos. Immer wieder wird sie mit bürokratischen Bürden konfrontiert, die ihr den Aufenthalt schwer machen. Mit Hans-Peter zeigt das Filmteam auch einen Schweizer Landsmann, der im Himalaja einen kleinen Bauernhof betreibt. Er stellt eindeutig das am wenigsten angepasste Element im Film dar, was wohl mit ein Grund dafür ist, dass die Einheimischen ihn auch nach vielen Jahren, die er mittlerweile unter ihnen weilt noch immer nicht akzeptiert haben. Roland aus Holland ist eine der interessantesten Figuren. Er gründete in Indien eine Familie und arbeitet dort als Maler. Das – leider sehr kurze aber heftige – Intermezzo mit den beiden modeschöpferischen Zwillinge aus Südafrika bildet einen schrillen Höhepunkt des sonst sehr ruhigen Films.
Man könnte es sogar fast filmerische Lethargie nennen, wenn zu Beginn der halbnackte Cesare geschlagene fünf Minuten seltsame Gebärden im Wasser vollzieht und dabei flehende Gesten gen Himmel richtet. In gewisser Weise ist das auch durchaus gerechtfertigt und sogar gewollt. Nein, es passiert nicht viel in „Hippie Masala“, was aber kein Wunder ist, denn die Hauptakteure des Films bieten ein erschreckend geringes Betätigungsspektrum. Baden, Blumen pflücken und das Bimmeln einiger Glöckchen sind die unangefochtenen Tageshighlights – und natürlich der Gebrauch der omnipräsenten Haschpfeife. Der Weg zu sich selbst und die individuelle Freiheit stehe im Mittelpunkt, so die Protagonisten einvernehmlich. Dies äußert sich bei den fünfen auf verschiedenste Art und Weise hat jedoch pragmatisch gesehen eines immer gemeinsam: die meiste Zeit gibt man sich dem Müßiggang hin und haut sich in regelmäßigen Abständen Unmengen an Kraut in die Lunge.
Hieraus eine abendfüllende Dokumentation zu machen ist ein sehr ambitioniertes Projekt und das Ergebnis ist alles andere als massenkompatibel. Das Schweizer Filmteam verzichtet auf jeglichen eigenen Input während des Films. Weder eine Off-Stimme, die durch das Geschehen führt, noch Einblendungen, die nähere Informationen über die Protagonisten und deren Vergangenheit geben könnten werden dem Zuschauer an die Hand gegeben. Einzig deren Namen und Herkunftsland erfährt man. Erst zum Schluss begreift man den dramaturgischen Effekt, der damit einhergeht – vor allem bei dem wirklich überraschendem Ende der Hanspeter-Episode, das vieles auf den Kopf stellt.
Die Hippie-Wanderung in den 60er Jahren besitzt nach wie vor ein enormes Romantik-Potential und wird mit dieser Dokumentation an klug ausgewählten Fall-Beispielen 93 Minuten lang objektiv hinterleuchtet und in gewisser Weise demontiert. Den Geist, der die populäre Bewegung vor fast 50 Jahren ausmachte, sucht man in „Hippie Masala“ vergebens. Vielmehr zieht sich eine gewisse Tristesse durch den Film, die den Hippie-Spirit in dieser Form als heiße Luft enttarnt. Wohlgemerkt alles ohne plakative Einflussnahme des Filmteams. Die Ausführungen der mitunter desillusioniert wirkenden Protagonisten und die subtilen Bilder reichen aus um auch den letzten Schwärmer ins Grübeln zu bringen. Auch die Lebensgeschichten der Akteure sind oft alles andere als von Love, Peace and Harmony gekennzeichnet. Die meisten blicken auf Lebensabschnitte im Gefängnis zurück und waren oder sind drogenabhängig - einige wählten Indien nicht mal freiwillig als Refugium, sondern hatten einfach keinen anderen Ort, wo sie hin gehen konnten.
Aber was erwartet man, wenn man einen Film über diese Thematik ansieht? Wenn wir ehrlich sind bunte Parties mit bekifften Rastamännern, die den ganzen Tag am Strand hängen, Sitar spielen und mit roten Augen tiefgründige Sozialutopien vor sich hin murmeln. Diese Erwartungen werden nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil – abgesehen vom obligatorischen Kiffen. Die Aussteiger leben allesamt ein Leben ohne großen Höhepunkte und Ereignisse. Und hier hält das Kamera-Team einfach drauf. Nicht mehr, nicht weniger. Der Film betreibt aber keinen Etikettenschwindel, vielmehr ist es genau die Widerlegung dieser Erwartungshaltung, die „Hippie Masala“ auszeichnet.
Obwohl der Film durchaus Längen aufweist, wird er niemals uninteressant. Man muss „Hippie Masala“ als das nehmen, was er ist. Er dokumentiert das Leben von Menschen, deren Lebensinhalt alles andere als popcornkino-konform ist. Der Film nimmt sich sehr viel Zeit, manchmal bis an die Grenze des Zumutbaren – doch das ist genau der Punkt, der den Film seinen speziellen Charakter gibt. Diejenigen, die diese Zeit investieren erhalten authentische und ungeschminkte Einblicke in die – sinnvoll oder nicht – ungewöhnlichen Lebensszenarien der Protagonisten und können in den ohnehin einmaligen Impressionen Indiens schwelgen. Ob das Märchen für die Beteiligten ein gutes Ende genommen hat liegt letztendlich im Auge des jeweiligen Betrachters.