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Letztes Jahr feierte das, 1981 gegründete Waldschlösschen sein 30-jähriges Jubiläum. Die Akademie liegt 13 Kilometer südöstlich der Universitätsstadt Göttingen mitten in einer waldreichen Mittelgebirgslandschaft. Die Bildungsstätte ist ein Ort, an dem viele Menschen zusammenkommen, um miteinander zu lernen, sich auszutauschen und sich gemeinsam fortzubilden. Dr. Rainer Marbach, der Gründer und Vorstandsvorsitzende der Stiftung Akademie Waldschlösschen erhielt im September 2005 für seine Arbeit beim Schwulen Forum Niedersachsen (SFN) das Bundesverdienstkreuz. Campus-Web sprach mit ihm über die Idee zur Gründung der Bildungsstätte, das Angebot der Akademie und darüber, warum sich das Waldschlösschen am Anfang als Dorn im Auge der Heteronormativität behaupteten musste. Wo findet man das Waldschlösschen? Dr. Rainer Marbach: Das Waldschlösschen liegt fast im geographischen Zentrum Deutschlands, 12 km vom ICE-Bahnhof Göttingen und jeweils ungefähr 12 km von den Autobahnen A 7 und A 38 entfernt , ist also aus ganz Deutschland sehr gut zu erreichen. Die postalische Adresse lautet Reinhausen bei Göttingen. Was ist an dem Waldschlösschen spezifisch schwul-lesbisch? Einerseits ist das Waldschlösschen eine der zweiundzwanzig als Heimvolkshochschule arbeitenden Erwachseneneinrichtungen in Niedersachsen. Andererseits ist es etwas ganz besonderes, weil es die einzige Erwachsenenbildungseinrichtung in Deutschland und Europa ist, die aus der Schwulenbewegung entstanden ist. Den Kernarbeitsbereich bilden Veranstaltungen für Schwule und Lesben, heute für die LGBTI-Community und für von Aids betroffene Menschen.. Was bedeutet „Akademie“? „Akademie“ ist ein Eigenname, der erst im Jahr 2000 vom Waldschlösschen angenommen worden ist. Das Waldschlösschen hieß bei seiner Gründung „Freies Tagungshaus Waldschlösschen“, was damit zusammenhängt, dass die Bildungsstätte "frei" von staatlicher Unterstützung und natürlich - und das ist auch heute noch so - "frei" von staatlichem Einfluss entstanden ist. Dieser Eigenname ist dann historisch und praktisch überholt gewesen. Ein ganz pragmatischer Grund für die Namensänderung in „Akademie“, was ja wie im alten Griechenland Bildung assoziiert, war auch, dass der Eigenname mit „A“, also dem ersten Buchstaben im Alphabet, anfängt und damit in vielen Auflistungen an allererster Stelle steht - und der Name sollte einfach kurz sein. Die mit der staatlichen Anerkennung verbundene Ausweisung als "Heimvolkshochschule" fanden wir als Eigenname nicht so gut. Welche Arbeitsbereiche werden im Waldschlösschen betreut? Das Waldschlösschen ist eine staatlich anerkannte Bildungseinrichtung. Man kann hier mehrere Arbeitsbereiche unterscheiden. Da es eine Bildungseinrichtung ist, die ausschließlich mit Mehrtagesseminaren arbeitet, muss man an erster Stelle den pädagogischen Bereich nennen, also die Pädagogen und Pädagoginnen, die das Veranstaltungsprogramm und die Kooperationen der Bildungseinrichtung planen, koordinieren und umsetzen. Dann gibt es natürlich eine Verwaltung, die Anmeldungsverfahren, die Buchhaltung usw. bearbeitet und es gibt drittens den "Hotelbetrieb", der aus Küche, Hauswirtschaft und Reinigung besteht. Denn die Bildungseinrichtung im Servicebetrieb mit einem Hotel mit siebzig Betten zu vergleichen. Wann und in welchen Fachbereichen haben Sie selber als Pädagoge gearbeitet? Ich war an einem Göttinger Gymnasium von 1974-1990 Lehrer und bin es eigentlich heute noch. Ich bin nämlich seit 1990 für meine Arbeit in der Erwachsenenbildung nur beurlaubt. Ich bin/ war Lehrer für die Fachbereiche Deutsch, Geschichte und Soziologie. Gibt es im Waldschlösschen, das ja prinzipiell eher die Gruppe der Schwulen und Lesben bedient, auch Angebote für Heterosexuelle? Ja, die gibt es auch. Zum einen ist von Vorneherein Konzept gewesen, das Waldschlösschen nicht als "geschlossene Veranstaltung" für Schwule und Lesben zu gestalten, sondern - etwas vereinfacht gesagt - durch Begegnung schwuler und heterosexueller Gäste bzw. Gastgruppen auch Aufklärungsarbeit zu leisten. Außerdem bieten wir auch immer Fortbildungen für Multiplikatoren wie Lehrer, Sozialarbeiter, Pfarrer, Polizisten zum Themenbereich Homosexualität, Anti- Homosexualität und Diskriminierung von Schwulen und Lesben an. Auch haben wir uns im Arbeitsbereich "Aids und Gesellschaft" von Anfang an, auch in der Arbeit mit HIV-positiven Menschen, niemals auf Schwule beschränkt, sondern auch Angebote für heterosexuell Infizierte, für Drogenabhängige, aber auch beispielsweise für Kinder machten. Auch machen wir eine Menge berufsbegleitender Fortbildungen für Leute, die in sozialen Einrichtungen arbeiten, also zum Beispiel zum Thema „Behinderung und Sexualität“ oder zur Gewalt-Thematik in der Jugendarbeit und Ähnliches. In den Fachbereich Sprachen und Intensivsprachkurse, Veranstaltungen für Frauen, Berufsfortbildungen und Fortbildungen für Führungskräfte bieten wir weitere Angebote für die Allgemeinheit. Welche Motivation lag hinter der Gründung des Waldschlösschens vor 31 Jahren? Die um 1979/80 entstandene Idee war, parallel zum Entstehen von anderen so genannten "alternativen" Bildungseinrichtungen, die aus verschiedenen Neuen Sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel der Ökologiebewegung, Frauenbewegung, Friedensbewegung hervorgingen, auch eine Einrichtung für Schwule zu schaffen. Lesben waren anfangs noch kein Thema, weil Lesben und Schwule kaum zusammengingen und damals die Lesben sich vornehmlich in der Frauenbewegung engagierten. Wir wollten zum einen eine Einrichtung gründen, die die Vernetzung und Professionalisierung von schwulen Arbeitszusammenhängen und (Selbsthilfe-)Einrichtungen auf bundesweiter Ebene fördern sollte. Zum anderen sollte dies eine "schwule Volkshochschule" sein, die Seminare zur Identitätsstiftung und Steigerung von Selbstbewusstsein bei Schwulen und Lesben entwickelt, und darüber hinaus für das Engagement in Selbsthilfeeinrichtungen, Gesellschaft und Staat qualifizierende Fortbildungen anbieten sollte. Und der dritte Aspekt, der in den Anfangsjahren allerdings keine große Rolle spielte, war, auch heterosexuelle Multiplikatoren wie zum Beispiel LehrerInnen und SozialarbeiterInnen für ihre Arbeit mit schwulen Lebensformen und schwulem Lebensstil vertraut zu machen und so gegen Antihomosexualität in der Gesellschaft zu arbeiten. Was gab es konkret für Schwierigkeiten in den 80er Jahren, als sich das Waldschlösschen so langsam begann als Bildungseinrichtung zu etablieren? Die erste Schwierigkeit war natürlich, dass es für die „ordinäre Normalbevölkerung“ ganz furchtbar schwer war, diese Einrichtung als Bildungseinrichtung wahrzunehmen, weil man sich unter Homosexualität nur die sexuelle Ebene vorstellen konnte. Das ging bis zu solch extremen Die erste Schwierigkeit war natürlich, dass es für die „ordinäre Normalbevölkerung“ ganz furchtbar schwer war, diese Einrichtung als Bildungseinrichtung wahrzunehmen, weil man sich unter Homosexualität nur die sexuelle Ebene vorstellen konnte. Das ging bis zu solch extremen Vorstellungen der Landbevölkerung hier, wie „Das muss dann wohl ein schwules Bordell sein“, weil man sich nicht vorstellen konnte: „Was machen Schwule, wenn sie nicht Sex haben?“ Sie machen das gleiche wie andere Menschen auch. Sie wollen lernen und sie wollen soziale Aktivitäten entfalten. In den 80er Jahren war vieles sehr schwierig, weil man nicht akzeptiert wurde als schwule Bildungseinrichtung. Da will ich mal ein paar Beispiele nennen. Das Waldschlösschen-Altbau ist ein Baudenkmal von überregionaler Bedeutung, und wir haben in Zusammenhang mit Sanierungsarbeiten in den 80er Jahren für eine bestimmte Maßnahme einen Zuschuss beim Landkreis Göttingen beantragt, was die Kreisverwaltung auch befürwortete. Dieser Zuschuss ist vom Kreistag allerdings nicht bewilligt worden, mit der Begründung - die am nächsten Tag in einem großen Zeitungsartikel nachzulesen war - dass im Waldschlösschen "unsittliche und unmoralische Veranstaltungen" stattfinden. Es stellte sich heraus, dass ein CDU-Kreistagsmitglied einen Artikel in einer Zeitschrift gefunden hatte, wo ein Seminar des Waldschlösschens zur Situation von Homosexuellen in Lateinamerika angeboten worden war. Das war für ihn Anlass, daraus unsittliche und unmoralische Veranstaltungen zu konstruieren. Ich habe damals den Fraktionsvorsitzenden der CDU im Landkreis wegen Verleumdung angezeigt. Diese Geschichte ging damals bis in den „Stern“. Ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Wir haben früher sehr viel Kulturarbeit gemacht, zum Beispiel regelmäßig öffentliche Theaterveranstaltungen. Ich kann mich erinnern, dass in der 80er Jahren die Gemeinde mit Polizeiandrohung die Durchführung eines Auftrittes von Georgette Dee verboten hat, weil wir sie nicht als "Vergnügungsveranstaltung" beantragt hätten. Nur durch die Erwirkung einer kurzfristigen Verfügung der damaligen Bezirksregierung Braunschweig konnte dieser Auftritt als Kulturveranstaltung durchgesetzt werden. Das sind Beispiele, die zeigen, wie schwierig es war, als "gleichberechtigte" kulturelle und Bildungs- Einrichtung akzeptiert zu werden. Es wurde immer wieder auf irgendeine Weise versucht, Gründe zu finden, weshalb man gegen das Waldschlösschen vorgehen könnte - das galt dann gerade auch für den "unendlichen" Kampf um die staatliche Anerkennung (und damit Förderberechtigung) als "Heimvolkshochschule" in Niedersachsen (Bildung ist ja Ländersache). So offen wie beim Beispiel der „unsittlichen und unmoralischen Veranstaltung“ ist das allerdings selten gelaufen; und seit den neunziger Jahren war das offen auch nicht mehr so leicht möglich, weil Antihomosexualität nicht mehr "poltisch korrekt" war. Also ist das Waldschlösschen lange Zeit ein Stachel im Auge der heteronormativen Gesellschaft gewesen. Hat es viel ehrenamtliche Arbeit benötigt, bevor es sich als Institution etablieren konnte? Ja, aber in den dreißig Jahren Geschichte in der Entwicklung der Bundesregierung Deutschland ist ja homopolitisch auch eine Menge erreicht worden, und daran hat das Waldschlösschen mitgewirkt. So hat z.B. die frühere Bundesgesundheitsministerin und Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth aufgrund der Erfahrungen, die sie mit der Arbeit der Bildungsstätte machte, einmal gesagt, dass die Aids-Poltik der Bundesregierung ohne das Waldschlösschen anders ausgesehen hätte. Und heute ist die Akademie ein etablierter Teil der Erwachsenenbildungslandschaft in Deutschland. Was ist Ihnen wichtig am Waldschlösschen? Ich gehörte sehr früh zu den Menschen in der Schwulenbewegung, die begriffen haben, dass in den Zeiten der noch unorganisierten Schwulenbewegung der 70er Jahre Institutionen und ein bestimmter Organisationsgrad Voraussetzung dafür ist, dass sich in der Gesellschaft tatsächlich etwas verändert und dass auch Kontinuitäten und Traditionen entstehen können. Dafür braucht es Institutionen und das gilt natürlich ganz besonders für Bildungseinrichtungen, deren Aufgabe ist, so etwas zu vermitteln. Da ich Pädagoge war und schwulenpolitisch sehr engagiert, lag es für mich nahe, diese beiden Motive miteinander zu verbinden. Wie wurde das 30jährige Jubiläum in Göttingen gefeiert? Diesen Termin haben wir nach dem "großen Feiern" des 25jährigen Jubiläums, zu dem ich auch ein Buch herausgegeben habe (Waldschlösschen mittendrin. Ein Lesebuch, Hamburg 2006) außer mit einer großen "30" auf dem Titel des Jahresprogramms 2011 nicht besonders gefeiert. Weiterhin alles Gute und vielen Dank für das Interview! Weitere Infos und das Jahresprogramm findet ihr hier. Einen ausführlichen Bericht der ZEIT zum 25jährigem Jubiläum findet ihr hier.
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