"Können Homosexuelle denn wirklich einen Orgasmus kriegen, wenn sie miteinander schlafen?" "In meinem Heimatland gibt es keine Schwulen oder Lesben!" Umfragen von Meinungsforschungsinstituten zeigen, dass immer noch das Gros der Jugendlichen negative Einstellungen gegenüber Homosexuellen haben. In Bonn wird gerade ein neues Projekt für schwul-lesbische Schulaufklärungsarbeit (SchLAu) gegründet.

Ein Teilziel von rund 15 SchLAuen Aufklärungsgruppen in NRW ist es, Vorurteile und Klischeevorstellungen über Homosexuelle abzubauen. Die zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter gehen in Schulen und sprechen offen mit Schülern aller Schulformen und Altersgruppen über Homosexualität und über ihr eigenes "Schwulsein" oder "Lesbischsein". Sie versuchen Fragen zu beantworten, sowie authentische Eindrücke von Schwulen und Lesben zu vermitteln. Die Vorbehalte und Fragen der Schüler werden dabei ernst genommen und die Vielfalt und gegenseitige Akzeptanz homo- (und hetero-) sexueller Lebensweisen steht im Mittelpunkt. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie bringt Campus Web ein Interview mit Eva-Maria und Stefan von SchLAu NRW, Martin vom Münsteraner Schulprojekt "andersrum aufgeklärt", Judith von SchLAu Köln , sowie mit Hannes und Andreas von einem SchLAuen Aufklärungsprojekt in Bonn.

cw: Warum engagiert Ihr Euch für SchLAu?

Eva-Maria: Ich halte unser Projekt für sehr wichtig. Homosexuelle sind zwar in unserer heutigen Gesellschaft viel präsenter und selbstbewusster geworden, aber die Klischeevorstellungen von Schwulen und Lesben geistern immer noch in den Köpfen vieler Menschen herum und werden durch die einseitige Darstellung Homosexueller in den Medien oft noch gefestigt.

Martin: Stimmt. Oft sind die Schüler sehr überrascht, dass da jetzt keine Marsmenschen kommen, sondern ganz normale Leute, denen sie ihre Homosexualität nur sehr bedingt oder gar nicht ansehen können.

Judith: Das Interesse an Homosexualität seitens der Schüler ist sehr groß. Wenn das Eis gebrochen ist, fragen diese einen oft Löcher in den Bauch. Wir wollen zu einer Einstellungsänderung bezüglich Homosexualität anregen.

Hannes: Viele Jugendliche kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Hetero- und Homosexualität. SchLAu ist in vieler Hinsicht pädagogisch wertvoll. Wir vermitteln sexuelle Selbstbestimmtheit, sensibilisieren für Diskriminierung und bauen Berührungsängste ab. Wir wollen Assoziationen schaffen, zum Selberdenken über Homosexualität anregen. Wir sind für die Schüler authentisch. Wir sind älter und haben Autorität. Wir können denen Lebensentwürfe und ein profundes Wissen vermitteln. Es geht nicht nur um Homosexualität, sondern vielmehr darum Vielfalt zu skizzieren. Wir zeigen, dass es um Liebe geht.

cw: Wie geht ihr bei Euren Klassenbesuchen vor?

Eva-Maria: Erster Ablaufpunkt ist eine kurze Begrüßung und Vorstellungsrunde. Danach starten wir eine kurze Erwartungsrunde der Teilnehmer, evtl. auch mit einer Einstiegsübung. Daraufhin klären wir die Begrifflichkeiten, dass es z.B. während der Veranstaltung keine Noten gibt, dass alles Gesagte im Raum bleibt. Es folgen Einstiegsübungen und Auflockerungsspiele, manchmal auch Rollenspiele, die das vermeintliche Wissen und Vorurteile der Schüler bezüglich Homosexualität prüfen sollen. Schließlich wird die Klasse geschlechtsspezifisch getrennt. Nach der Trennung setzen wir unseren Themenschwerpunkt und haben ein offenes Ohr für alle Fragen. Auf den gemeinsamen Abschluss und die Zusammenfassung folgt ein kurzes Feedback aller Teilnehmenden. Die ganze Veranstaltung dauert etwa drei Stunden.

Judith: In der Regel besuchen vier Aufklärer, am besten zwei Frauen und zwei Männer, eine Schulklasse. Trotz einer sehr spärlichen jährlichen Grundförderung arbeiten wir mit einer fortwährend aktualisierten SchLAuen Kiste. In ihr sind unter anderem Info-Broschüren, Regeln, Meinungskarten, Fragebögen, Fragekarten, Rollenspiele, Bildersammlungen, ein Grabbelsack, Filme und Bücher enthalten.

cw: Gibt es Schulen, die nicht offen gegenüber SchLAuer Aufklärungsarbeit sind?

Stefan: Viele Lehrer haben Vorbehalte Schwule und Lesben in den Unterricht einzuladen und befürchten, dass "Werbung" für Homosexualität gemacht werden soll oder dass sich Eltern bei der Schulleitung beschweren. Dabei hat sich die sexuelle Orientierung schon längst im Kindesalter festgelegt und muss in der Pubertät, oder manchmal auch später, von jedem Menschen selber herausgefunden werden. Niemand kann einem Homosexualität schmackhaft machen, wenn dafür nicht bereits eine Veranlagung vorhanden ist.

Eva-Maria: Die Zusammenarbeit mit konfessionellen Schulen erweist sich oft als äußerst schwierig. Ich wollte mit SchLAu meine alte Schule, die katholische Liebfrauenschule vom Erzbistum Köln besuchen. Die Rektorin Rapp lehnte dies mit den Worten, 'sie könne das nicht verantworten, die Eltern würden sehr stark darauf reagieren', elegant aber klar ab.

Martin: Deftige Stellungnahmen von Eltern gegenüber Homosexualität findet man zudem auf der Homepage des Elternvereins NRW. Auch der Lehrerverband NRW spricht sich gegen eine Gleichbehandlung schwuler und lesbischer Partnerschaften aus.

cw: Wie reagiert ihr auf persönliche Beleidigung und Ablehnung seitens der Schüler?

Judith: Natürlich kommen da manchmal blöde Sprüche. Oft sind auch einige Schüler passiv abwesend oder halten die SchLAue Veranstaltung für völligen Schwachsinn. Nach dem Motto: Warum sind wir hier? Warum mache ich nicht krank? Im Laufe der Veranstaltung ist es jedoch spannend zu erleben, wie sie ihre Meinung ändern und die Veranstaltung gespannt verfolgen.

Stefan: Das kommt ganz auf die Situation an und wer mit dem Jugendlichen spricht. Als Aufklärer kann man anders reden im Gegensatz zum Lehrer. Je nach Schwere der Beleidigung würde ich Nachfragen um mehr Informationen zu erhalten oder auch hart durchgreifen.

Eva-Maria: Diesbezüglich war mein schlimmstes Erlebnis eine sehr laute, aggressive, fast gestörte Klasse. Von den Jungs kamen richtig sexistische Sprüche. Trotzdem weiß ich mich in der Regel zu wehren. Auf Anmachen von Jungs, wie "Du wurdest wohl noch nie von einen Jungen richtig durchgefickt..." reagiere ich normalerweise mit einen "Nee, du denn?". Danach sprechen wir dann offen über "Durchficken", Oral- oder Analverkehr, eben über Sex und Vorurteilen gegenüber Homosexualität.

Martin: Uns ist es sehr wichtig, dass die Schüler alles sagen können was sie denken und das sie nicht befürchten müssen, dass wir ihre Meinung "umdrehen" wollen.

Hannes: Mädchen sind in der Regel toleranter und haben weniger Schwierigkeiten mit Homosexualität. Gleichaltrige Jungen müssen sich auf Grund ihrer anderen Sozialisation vor ihren Geschlechtsgenossen eher behaupten und sind deutlich aggressiver.

cw: Was waren schöne Erlebnisse im Rahmen Eurer Aufklärungsarbeit?

Andreas: Meine schönsten Erlebnisse waren die Gespräche mit den Mädchen. Die machen sich im Allgemeinen mehr Gedanken über Homosexualität und zielen nicht nur auf schwulen Sex ab. Von den Jungs kommen manchmal schon Sprüche wie: "Sagt mal, fickt ihr oder lasst ihr lieber ficken?" Interessant wird es aber auch, wenn die Jungs mal herunterkommen von ihrem "wir finden euch ja so toll" Trip und die Vorurteile, die sie haben, herauslassen. Mit verlogener Toleranz oder Heuchelei ist es sehr schwierig umzugehen.

Stefan: Das schönste Erlebnis, was ich hatte, war in einer 7. Klasse, wo mich ein Schüler am Ende der Veranstaltung fragte, ob ich tatsächlich schwul sei. Er konnte es anscheinend immer noch nicht glauben, so klischeehaft war sein ursprüngliches Bild von Homosexuellen.

Eva-Maria: Mir haben einmal Mädels, die von unserer Veranstaltung begeistert waren, eine richtig klasse Mail geschrieben. Auch hatte ich einmal ein sehr intimes und schönes Gespräch mit Jungen, die wahnsinnige Vorurteile gegenüber Schwulen hatten. Diese haben im Verlaufe der Gesprächsrunde sehr viel über sich preisgegeben und ich konnte Ihnen viel über Homosexuelle, aber auch das weibliche Geschlecht und die erogenen Zonen der Frau vermitteln.

Judith: Den Prozess einer Einstellungsänderung bei den Schülern, sowie ihre Verblüffung zu beobachten macht unglaublichen Spaß. Dabei sind Klassen, die als schwierig gelten, oft am interessantesten. Zu erleben, wie schnell man Schüler für ein vermeintlich schwieriges Thema begeistern kann, ist große Klasse und super spannend!

cw: Vielen Dank für die Gesprächsrunde!

Mehr Informationen zur Kampagne „Schule ohne Homophobie - Schule der Vielfalt“ findet ihr hier.

Ein Portrait der Intergruppe für LBST-Rechte im Europäischen Parlament findet ihr hier.

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