Als sich die Frage stellte, wo ich am liebsten meinen Erasmusaufenthalt verbringen wollen würde, war meine Entscheidung schnell gefallen: Sevilla, die Hauptstadt Andalusiens, war meine erste Wahl. Ich wollte das sevillanische Flair, die Tapas-Bars und die Flamencotänzerinnen aus der Nähe kennenlernen. Die Erasmusbewerbung war schnell geschrieben und nach einigen bangen Wochen, erhielt ich die Zusage für einen Erasmusplatz in Sevilla. Die Freude war natürlich riesig und am 7. September ging die Reise dann auch wirklich los. Als ich um ein Uhr nachts am Flughafen in Sevilla ankam, begrüßte mich die Stadt mit 30 Grad Hitze und mit einem seltsamen Zeichen, das allgegenwärtig zu sein schien: „no8do“. Dieser Schriftzug ziert alle öffentlichen Gebäude, Busse und auch Privathäuser. Man findet ihn ebenso gut an Mülltonnen und auf jedem Formular, von denen man als Erasmusstudent eine Menge ausfüllen darf.

Dieser Schriftzug begleitete mich die nächsten Tage bei der Wohnungssuche, bei der Einschreibung in der Uni, beim Bus fahren und sogar beim Einkauf im Supermarkt. Er schien eine große Bedeutung für die Stadt und ihre Bewohner zu haben und ich machte mich daran, herauszufinden was diese Bedeutung ist. Man erklärte mir, dass der Schriftzug sich in drei Teile entschlüsseln lässt: no – 8 – do. Bei den Einheimischen herrscht allerdings Uneinigkeit darüber, wofür die drei Teile tatsächlich stehen. Es entwickelten sich rund um das Stadtwappen Sevillas mehrere Mythen, die alle auf ihre Weise ein Teil der Geschichte Sevillas erzählen.

In chronologischer Reihenfolge steht die Erklärung dieses Symbols mit Bezug auf die Römerzeit am Anfang. In dieser Lesart steht die „8“ für einen Knoten und die beiden Silben „no“ und „do“ sind auf das lateinische Wort „nudo“ für „Knoten“ zurückzuführen. Natürlich handelt es sich bei dem durch die Zahl acht dargestellten Knoten nicht um irgendeinen Knoten, sondern um den gordischen Knoten, der der Legende nach nur von demjenigen durchschlagen werden konnte, der der Herrscher über Asien werden würde. Der Legende nach gelang dieses Alexander dem Großen und er eroberte tatsächlich weite Teile Persiens und Sevilla, das überhaupt erst von den Römern gegründet wurde und wie weite Teile Spaniens seit dem Zweiten Punischen Krieg zum Römischen Reich gehörte, verehrte ihn natürlich als Nationalhelden.

Auch die bewegte Geschichte Sevillas im Mittelalter liefert eine Erklärung für den eigenartigen Schriftzug. In diesem Fall wird die acht in dem Stadtwappen als ein Wollknäuel interpretiert, das auf Spanisch „madeja“ heißt. Setzt man dieses nun mit den anderen beiden Teilen des Wappens zusammen, erhält man den Satz „no - madeja – do“, was so viel heißt wie „sie hat mich nicht verlassen“. Alfons der Weise soll diesen Satz geäußert haben, als die Stadt Sevilla ihm Zuflucht gewährt hatte, nachdem er von seinem Sohn Don Sancho vom Thron gestoßen worden war.

Natürlich darf auch keine Erklärung fehlen, die sich auf die Zeit der Reconquista bezieht. Dabei wird die acht wie im Fall der vorangehenden Erklärung als Wollknäuel interpretiert und es ergibt sich wiederum der Satz „no madeja do“ – „sie hat mich nicht verlassen“. Der spanische König Fernando III. soll „sie hat mich nicht verlassen“ gesagt haben, nachdem er die Schlacht gegen die Araber in Sevilla gewonnen hatte. Die angesprochene „sie“ nach dieser Interpretation ist die Mutter Gottes, durch deren Hilfe er glaubte die Schlacht gewonnen zu haben.

Die Erklärung der katholischen Kirche darf in dem traditionell katholisch geprägten Spanien ebenfalls nicht fehlen. In dieser Interpretation sind die beiden Silben „no“ und „do“ die Abkürzung für „nomus domine“, was „der Name des Herrn“ bedeutet. So würde das Stadtwappen in dieser Interpretation auf die tiefe Verbundenheit der Stadt mit dem christlichen Glauben hinweisen.

Welche dieser Erklärungen nun die Richtige und Wahre ist, bleibt ungewiss, da jede Erklärung so passend erscheint. Meine ganz persönliche Interpretation des ominösen Schriftzugs ist: „no me ha dejado – sie lässt mich nicht mehr los“. Das Flair, die Einwohner, die Hitze, das Essen, die Fiestas - einfach Sevilla selbst - zieht alle in ihren Bann und es scheint so, als wäre dieser Bann nicht zu brechen.

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