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Meine Zeit in Florenz geht ihrem Ende entgegen. Das Jahr ist rum und die Stadt ist zu einer zweiten Heimat geworden. Es wird zwar kein Abschied für immer werden, da ich noch einige Mal herkommen muss, um zum Beispiel meine Bachelorarbeit zu verteidigen. Und auch ohne die Universität als Grund ist Florenz nicht weit weg und bestimmt immer wieder Ziel meiner Reisen. Ein letztes Mal geht es durch die Stadt. Die Dinge, die ich dabei sehe, kommen mir nicht mehr fremd oder anders vor. Alles ist ganz normal und ich bin gespannt darauf, welchen Eindruck Deutschland nach meiner Rückkehr auf mich machen wird. Ob mir die Menschen wirklich auch so kalt und unfreundlich vorkommen werden, wie es hier gerne von ihnen behauptet wird? Mit meiner Mitbewohnerin gehe ich durch die Straßen. Sie wird, obwohl sie Italienerin ist, dank ihrer dunkelblonden Haare oft auf Englisch angesprochen. Die Innenstadt ist komplett auf die vielen Touristen eingestellt und aus Vorsicht wird auch mit den Einheimischen ab und an Englisch gesprochen. Aber jetzt ist alles ist geschlossen. Die Wohnhäuser sind verlassen und alle Fenster mit Fensterläden verrammelt. Alle Parkplätze sind frei. Es scheint, als wäre Florenz ausgestorben, niemand ist mehr hier. Die große Hitze und die feuchte Luft haben den größten Teil der Bewohner zur Flucht aufs Land oder ans Meer getrieben. Nur etwa eins von fünf Geschäften ist noch geöffnet. Nur noch die größeren Läden stehen den wenigen Verbliebenen zur Verfügung, alle anderen haben für den gesamten August zu gemacht. Man muss sich fragen, ob Italien von der vielbesagten Wirtschaftskrise überhaupt betroffen sein kann, wenn alle Italiener, wie es scheint, eine weitere Unterkunft haben, in die sie im Hochsommer ausweichen können und die Geschäfte ohne weiteres einen ganzen Monat schließen können. Wenn man die Temperaturen hier erlebt, scheint die Land- bzw. Meerflucht aber das einzig Vernünftige zu sein, dass man im August machen kann. Wer nicht ans Meer fahren kann und daher in der Stadt bleiben muss, hat Florenz für sich allein, wenn er sich auf die heißen Straßen traut. Hier in Florenz schwitzt man allein vom Liegen, oder Sitzen oder vom Nichts-tun. Eigentlich von allem. Ein normales Leben findet unter diesen Umständen hier nicht mehr statt. Abgesehen von den Touristenscharen im Stadtzentrum ist alles viel ruhiger, weil niemand mehr wirkliche Kraft oder Elan hat. Niemand regt sich mehr auf, alles erscheint als zu anstrengend und alle scheinen viel gleichgültiger zu sein als den Rest des Jahres. Bis in den Abend hinein sind die Straßen leergefegt. Erst in den Abendstunden, wenn die Luft etwas angenehmer wird und ein kleiner lauer Wind weht, trauen sich die ersten Menschen ins Freie. In den Parks und vor den Eisdielen sitzen dann ältere Männer auf mitgebrachten Stühlen und diskutieren über die Stadt, Fußball und das Leben. Um diese Uhrzeit spielt sich das Leben draußen ab, während man versucht, die Wohnung über Nacht ein bisschen abkühlen zu lassen. Auch wir setzen uns mit unserem Eis, das in dieser Zeit zum wichtigsten Begleiter wird, zwischen die Damen und Herren und müssen erst einmal in unseren Köpfen aus ihrem Dialekt übersetzen, bevor wir ihnen antworten können. Denn obwohl der florentinische Dialekt als die Ausgangssprache für die gemeinsame italienische Sprache und als deren Idealform gilt, haben die ursprünglichen Bewohner eine doch sehr eigene Art zu sprechen. Besonders bezeichnend ist die Verwendung eines h-Lautes anstelle eines k-Lautes, durch die dann zum Beispiel eine Coca Cola zu „una hoha hola“ wird. Auf dem Weg nach Hause werden wir noch von dem einen oder anderen fliegenden Händler angesprochen, der uns mit „Bella, bella!“ seine Feuerzeuge oder Regenschirme andrehen will. Wider Erwarten wollen wir keine wärmespendenden Kerzen anzünden und auf Regen wagen wir mittlerweile auch nicht mehr zu hoffen. In meiner letzten Nacht in Italien komme ich dann doch noch einmal in den Genuss, etwas von dem sagenumwobenen italienischen Temperament mitzuerleben: Unter meinem Fenster streiten sich spät nachts und sehr lautstark zwei Italiener. Die Uhrzeit hält sie nicht von ihrer Lautstärke ab. Als ich -natürlich ganz freundlich- hinunterrufe, dass ich gerne schlafen würde, verbünden sie sich gegen mich und brüllen jetzt mich noch lauter an. Vielleicht habe ich sogar zu ihrer Versöhnung beigetragen, wenn sie in mir ein gemeinsames Feindbild entdeckt haben. Als sie sich von meinem Fenster entfernen, lachen sie noch lauter. Am nächsten Tag geht es dann zurück. Etwas ängstlich auf den Kulturschock bei der Rückkehr nach Deutschland, aber ich bin doch gespannt darauf, wie es sein wird, nicht mehr bei jeder Zebrastreifenüberquerung Todesangst zu haben und nicht mehr von jedem wildfremden Menschen mit einem herzlichen „bella“ oder „amore“ empfangen zu werden. Jetzt sitze ich beruhigt und mit viel zu viel Übergepäck im Flugzeug und nur der Kapitän kann mir noch einen letzten kleinen Schock versetzen: „Ich begrüße Sie recht herzlich auf unserem Flug von Pisa nach London.“ Alle sehen sich verwundert an aber niemand sagt etwas, um sich nicht outen zu müssen, dass man sich ins falsche Flugzeug gesetzt hat. Doch zwei Minuten später dann die Erleichterung: „Entschuldigen Sie, ich meinte natürlich unseren Flug nach Köln/Bonn!“
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