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Das erste Semester an der Universität von Florenz begann mit einem gewaltigen Chaos: Der offizielle Stundenplan erschien erst zwei Tage nachdem die Vorlesungen schon begonnen hatten und enthielt nur Angaben zum Titel, Dozenten und Vorlesungsterminen der einzelnen Kurse. Wer wie ich an den Luxus eines kommentierten Vorlesungsverzeichnisses gewöhnt ist, das schon lange vor Semesterbeginn herausgegeben wird, wird ratlos den Kopf schütteln. Die „Professori“ selbst waren somit die einzige Chance, an weitere Informationen zu gelangen. Es wurden also alle Dozenten persönlich angeschrieben, deren Kurse einigermaßen interessant erschienen, und gebeten, doch bitte etwas Genaueres zu berichten. Nicht selten kam eine Antwort in zwei Sätzen: „Für Studenten Ihres Faches findet meine Vorlesung im nächsten Jahr statt. In diesem Semester kann ich Sie leider nicht zulassen.“ Und wenn man im nächsten Jahr gar nicht mehr hier studiert? – Pech gehabt. Wenn das unmöglich geglaubte dann doch noch wahr wird und man seinen eigenen Stundenplan in Händen hält, ist es überaus hilfreich sich mit seinen Kommilitonen abzusprechen, wer wann welche Vorlesungen besucht und für alle mitschreibt, da sich sehr viele Pflichtveranstaltungen zeitlich überschneiden. Dann warteten die üblichen Tücken, die wohl in jeder fremden Uni auf die Neulinge warten: Hörsäle, in denen die hart erkämpften Vorlesungen stattfinden sollen, sind verschwunden, doppelt vorhanden, von anderen Kursen besetzt oder in einem Gebäude, das am anderen Ende der Stadt liegt. Die wahre Überraschung gab es für mich dann jedoch erst innerhalb dieser Hörsäle: Alle sind immer schon vor mir dort. Niemand kommt zu spät. Bis auf die schwedische Erasmus-Studentin in meinem Linguistik-Kurs. Während den Frontalvorlesungen redet niemand außer dem Dozenten, wirklich niemand, auch nicht ab und zu mal ganz kurz. Dieses Phänomen mag daran liegen, dass die italienischen Studenten die gesamten Vorlesungen von vorne bis hinten mitschreiben, Satz für Satz. Wenn es geht, am besten jedes einzelne Wort des Dozenten. Dabei entsteht bei meinen Banknachbarn leicht eine achtseitige Mitschrift pro Stunde und bei mir das leise Gefühl, einen Großteil des Gesagten nicht festgehalten zu haben. Wer da mit den italienischen „studenti“ mithalten möchte, der sollte zumindest einen Stenographie-Kurs absolviert haben. Vielleicht liegt es an einer überdurchschnittlich hohen Dichte an vorbildlichen Studenten in allen meinen Kursen, vielleicht ist es immer so. So setzen sich diejenigen Studenten, die die Aula zuerst betreten, am liebsten in die erste Reihe und nicht etwa in die letzte, wie man es aus deutschen Universitäten kennt, und positionieren ihre Diktiergeräte auf dem Tisch des Dozenten, damit sie sich zu Hause alles noch einmal in Ruhe anhören können, falls sie doch nicht alles mitschreiben konnten. An dieser geballten Konzentration meiner italienischen Kommilitonen mag es liegen, dass ich immer wieder beeindruckt bin und hoffe, dass sie nicht so gewissenhaft für die Klausuren lernen, wie ich sie im Unterricht kennen gelernt habe, damit ich in den Prüfungen überhaupt eine Chance habe, neben ihnen zu bestehen. Doch auch die Prüfungen sind in keinster Weise so wie erwartet. Weitere Überraschungen folgen. Denn es handelt sich größtenteils um eine mündliche Wissensabfrage, welche sich, was ihre Länge, ihren den Schwierigkeitsgrad und die Notengebung angeht, in völlig verschiedenen Welten befinden. Bei den wenigen schriftlichen Klausuren erwartet die Prüflinge eine recht lockere Atmosphäre: Alle sitzen dicht an dich in meist viel zu kleinen Hörsälen und die Aufforderung des Dozenten, lieber nicht abzuschreiben, wird als rhetorisch abgetan. So finden sehr hilfreiche Gespräche mit den Banknachbarn statt und es werden teilweise sogar ganze Absätze aus Lehrbüchern kopiert, die unter oder auch gerne mal auf den Tischen liegen. Leider war keine meiner Prüfungen schriftlich, daher konnte ich diese doch recht angenehm erscheinende Prüfungssituation nur durch die Erfahrungsberichte anderer erleben. Ein völlig anderes Bild erhält man bei den mündlichen Prüfungen: Zu meiner ersten Prüfung soll ich an einem Montagmorgen antreten. Ich stehe früh auf, bin sehr nervös und habe keinen Zweifel daran, den Test heute hinter mich zu bringen. Das kenne ich so aus Deutschland: Ich bin nervös, erscheine zum Klausurtermin und schreibe eine Klausur. Doch ich habe mich zu früh gefreut. Nur eine meiner vier Prüfungen findet an dem für sie vorgesehenen Tag statt. Mal wird mir gesagt, dass ich die Prüfung nun doch erst im April absolvieren kann, mal sind 80 Studenten angemeldet und ich komme, dank meines Nachnamens, erst am übernächsten Tag an die Reihe. Zwei meiner Prüfungen fallen sogar auf denselben Tag. Am Morgen der Prüfungstage findet der sogenannte „appello“ statt, bei dem alle angemeldeten Prüflinge aufgerufen werden, und nach dem sie dann darauf warten müssen, an die Reihe zu kommen. Das kann mitunter sehr lange dauern. Einige sitzen tatsächlich bis abends in der Uni und warten auf ihre Prüfung. Doch keine Angst: In diesen besagten Prüfungen ist man keinesfalls alleine. Es gibt jede Menge moralische Unterstützung von allen anderen Prüflingen, die mit im Hörsaal sitzen und warten, während man selber vorne am Lehrertischchen abgefragt wird. Meine Kommilitonen, die in Italien aufgewachsen sind, kennen dieses System seit der Grundschule. Als Nicht-Muttersprachler fühlt man sich dabei nur noch zusätzlich unter Druck gesetzt: Jetzt achtet nicht nur mein Professor darauf, was ich sage, sondern auch noch alle anderen Anwesenden, wie ich es sage. Zu meinem Glück sind die Wartenden aber zu sehr mit der Wiederholung ihrer Notizen beschäftigt, als dass sie sich auf meine Italienisch-Kenntnisse konzentrieren könnten. Nur bei der Verkündung der Note wird es dann jedes Mal mucksmäuschenstill.
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