Abenteuer Ausland: Mittlerweile lebe ich seit ungefähr sechs Monaten in Toronto und bin immer noch auf der Suche nach der Antwort auf die EINE Frage: Was ist eigentlich kanadisch?
Die Diskussion, was es nun wirklich bedeutet, Kanadier zu sein, ist stets viel diskutiert: egal ob im Café (typisch kanadisch natürlich in einer Tim Hortons-Filiale), in der Universität oder auf einer Party, die Frage nach dem „typisch Kanadischen“ wird fast immer aufgeworfen. Die Antworten darauf sind so vielfältig wie sie nichtssagend sind: für viele, besonders für diese mit Migrationshintergrund, ist es die Diversität und die kulturelle Offenheit, die Kanada ausmacht. Multikulturell ist Toronto wirklich, egal wo man ist, als „WASP“ ist man meist in der Minderheit und auf den Straßen hört man stets eine kunterbunte Mischung aus Englisch, Hindu, Russisch, Deutsch oder Spanisch. Die kulturelle Offenheit hört jedoch bei vielen Kanadiern auf, wenn das Thema Québec angesprochen wird: fließend Französisch sprechen nur die wenigstens der Anglokanadier, und von vielen wird die „französische Enklave“ nicht wirklich ernst genommen und schon gar nicht als fester Bestandteil der kanadischen Kultur angesehen.
Die zweite typische Antwort auf die Kanada-Frage ist – oh Wunder – Eishockey. Tickets für Spiele der Maple Leafs sind in Toronto quasi unmöglich zu bekommen, Saisontickets werden innerhalb von Familien testamentarisch vererbt und der Nationalheld Wayne Gretzky hat sein eigenes In-Restaurant in Toronto. Daneben ist die Café-Kette des ehemaligen Eishockey-Spielers Tim Hortons wirklich allgegenwärtig - dafür wurde sogar extra die iPhone-Applikation „Timmy-me“ entworfen, die den Weg zum nächsten Tim Hortons bequem auf dem Handy anzeigen lässt. Die Hockey-Hall-of-Fame in Toronto ist sozusagen das Mekka der Kanadier, denn obschon viele Torontonians selbst noch nie auf dem CN-Tower waren, so habe ich noch niemanden getroffen, der noch nie in der Hockey-Hall-of-Fame war. Selbst auf dem kanadischen $5-Schein sind Eishockey-spielende Kinder zu sehen. Das Thema Währung leitet allerdings zum Paradoxon der kanadischen Kultur über, da gerade kanadische Münzen bezüglich der Form quasi dem US-Dollar nachempfunden sind, sodass man bequem seinen US-Quarter für den XXL-Einkaufswagen nutzen kann.
Einerseits definieren sich wirklich viele Kanadier darüber, nicht amerikanisch zu sein. Viele sehen sich als zivilisierter als die Amerikaner (dies bestätigen sogar auch einige US-Amerikaner), sind stolz auf das „bessere“ Bildungs- und Gesundheitssystem, und äußern sich ständig negativ über den US-amerikanischen (Kultur-) Kapitalismus. Dies lässt sich vor allem an den staatlichen Regulierungen im TV erkennen; so darf MTV Canada zum Beispiel keine Musik-Videos zeigen, da dies dem kanadischen Sender Much More Music vorbehalten ist. Andererseits orientieren sich kanadische Einkaufscentren, Supermärkte, Unterhaltungsangebote sehr stark an den US-Vorbildern. Auch ein Großteil der TV-Sender ist amerikanisch und selbst die kanadischen Sport-Teams spielen in amerikanischen Ligen wie der NBA, NHL oder NFL. Auch in der Politik ist die USA das Maß aller Dinge: während des US-Wahlkampfes ging die zeitgleiche Wahl in Kanada total unter, gesprochen wurde nur über Obama, Hillary und Co. Wenn man versuchte, die Diskussion auch nur ansatzweise in Richtung Stephen Harper oder Stephan Dion zu lenken, rollten die Kanadier nur die Augen.
Insofern ist es wirklich schwierig, eine Antwort auf die Frage nach dem typisch Kanadischen zu bekommen. Meiner Meinung nach sind die Kanadier immer noch in der Selbstfindungsphase, welche nicht gerade dadurch beschleunigt wird, dass Kanada ein noch sehr junges Immigrationsland ist. Und vielleicht ist es wirklich auch gerade dieses nicht vorhandene definitorische Element, was den wirklichen Charakter Kanadas am besten beschreibt.