So, nun war es also soweit: mein erstes Semester an der neuen Uni begann. Da ich als Austauschstudentin meine Kurse durch York International zugeteilt bekam, wusste ich bis eine Woche vor Uni-Start gar nicht, welche Kurse ich genau belegen würde.
Glendon Campus der YorkU
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Schulich School of Business
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Vari Hall auf dem YorkU Keele Campus
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Ich bekam zwar die Nachricht, dass ich nur drei statt meiner gewünschten vier Kurse bekommen hatte, aber da ich gehört hatte, dass manch anderer international nicht einen einzigen der angegeben Kurse bekommen hatte, wollte ich nicht jammern. So würde also mein kommendes akademisches Jahr an der YorkU aussehen: Ich belege dieses Semester ein Seminar über Popular Culture and Communication, einen Kurs namens Media, Culture and Society und einen Kurs an der renommierten Schulich School of Business, nämlich Marketing for Non-Profit Organizations.
Ich hatte vor meinem Flug nach Kanada schon von einigen früheren Austauschstudenten gehört, dass der „workload“ pro Kurs in Kanada durchschnittlich deutlich höher sein sollte, als bei den regulären deutschen Kursen, insofern bin ich im Nachhinein gar nicht so traurig, meine kanadische Uni-Erfahrung mit nur 3 Kursen begonnen zu haben. Im Großen und Ganzen habe ich mit meinen Kursen relativ viel Glück gehabt, da sie sehr praktisch ausgerichtet sind und ich nicht ganz soviel lesen muss. Mehr als 300 Seiten pro Woche bleiben mir dabei meist erspart. Mein Pop Culture-Kurs wird momentan von zwei Doktoranden unterrichtet, die zwar schon recht streng sind, aber insgeheim doch ziemlich viel Verständnis für uns Studis haben. So wurden zum Beispiel unsere „reading assignments“ während der „mid-term“-Phase fast komplett ausgesetzt – wir mussten ganze 5 Seiten lesen – und auch nach der Nuit Blanche, einer Nacht in der ganz Toronto von Künstlern beherrscht wird und während der viele Studenten bis morgens um 6 Uhr durch die Stadt streifen, wurde kein besonders großes Engagement erwartet, obwohl unser Kurs erst um 14:30 beginnt. Insofern ist die Atmosphäre im Vergleich zu meinen deutschen Kursen sehr viel entspannter.
Meine anderen beiden Kurse sollten allerdings von Professoren unterrichtet werden, und ich war gespannt, inwiefern sich diese von meinem ersten Kurs unterscheiden sollten. Dienstags mittags machte ich mich also auf die Suche nach meinem Hörsaal, dem „The Price Family Cinema“. Treffender kann man diesen Hörsaal wohl nicht beschreiben, denn er ähnelt wirklich eher einem Kino als dem typischen Hörsaal. Eine riesige Leinwand, Surround-Anlage und bequeme (!) Sitze sind nur einige Merkmale dieses Raumes. Mit ein wenig Verspätung betrat dann mein Professor die Bühne, aber bereits nach 5 Minuten merkte ich, dass sich nicht nur der Raum, sondern auch der Professor sehr von seinen –mir bekannten – deutschen Pendants unterschied. Der Prof war nicht nur bester Laune, er lief auch ständig quer durch den Hörsaal und präsentierte uns seine etwas seltsamen PowerPoint-Folien. Mitunter wirkte er zwar eher wie ein Comedian als ein Professor, aber interessant ist sein Kurs dennoch.
Ich war mir im Nachhinein sicher, dass ich hiermit die zwei Extreme der kanadischen Dozenten-Landschaft kennengelernt hatte und fuhr am nächsten Tag mit etwas gemischten Gefühlen zur Schulich School of Business, die regelmäßig als beste kanadische Business-School gerankt wird. Ich habe zwar wirtschaftswissenschaftliche Grundkenntnisse, jedoch hatte ich vorher noch nie einen Marketingkurs besucht. Als mein Marketing-Professor dann sein Seminar begann, merkte ich direkt, dass auch er nicht meinem typischen Professoren-Bild entsprach. Prof. Milne hatte viele Jahre als Marketing-Spezialist im Non-Profit-Sektor gearbeitet und man merkte ihm an, dass er seine Erfahrung nicht nur in Lehrbüchern gesammelt hatte. Er ließ uns an seiner „hands-on experience“ teilhaben, anstatt uns die komplexen Vorgänge in Spezialvokabular zu lehren. Dies nahm mir dann auch ziemlich schnell die Scheu vor dem großen Namen der Schulich. In unserem Kurs sollten wir ein Marketing-Projekt durchführen, um möglichst schnell selbst direkte Erfahrungen sammeln zu können. Meine Gruppe entschied sich für Canada’s Walk of Fame, eine Non-Profit Organisation mit dem Ziel, die kanadische Kultur zu fördern und zu ehren. In der dritten Woche hatten wir bereits einen Termin mit dem Direktor und Gründer des CWOF, der sich bereitwillig von uns interviewen ließ. Mein Marketing-Kurs ist in diesem Semester mein absoluter Lieblingskurs, da es eine große Herausforderung ist, sich in ein komplett neues Thema einzuarbeiten und direkt praktisch darin tätig zu werden.
So sieht nun also mein neuer Uni-Alltag an der YorkU aus. Nicht nur der riesige Campus unterscheidet sich also von der beschaulichen Bonner Uni; auch die Kurse und die allgemeine Atmosphäre sind definitiv anders, nämlich sehr viel persönlicher und entspannter.
Allerdings darf ich nun erstmal eine Auszeit vom Uni-Leben an der YorkU nehmen, da seit zwei Wochen die Gewerkschaft der Dozenten streikt. Bis auf Weiteres sind daher alle Kurse gestrichen und ich habe unerwarteter Weise viel Zeit, die ich dankbar dazu nutze, den restlichen Indian Summer in Kanada zu genießen, bevor der lange Winter einsetzt.