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Es war uns von Anfang an klar: Die letzen beiden Semester des Bachelorstudiums der Deutsch-Italienischen Studien werden wir in Florenz absolvieren. Zur Vorbereitung auf das Auslandsjahr wollten wir leckeren italienischen Wein aus der Toskana trinken und dazu Lieder von Gianna Nannini oder Eros Ramazzotti hören. Leider dachte damals noch niemand daran, dass die Miete für ein Zimmer in Florenz ungefähr doppelt so hoch ist, wie die, für ein Zimmer in Bonn. Als uns diese Tatsache bewusst wurde, gab es nur eine Lösung und die hieß Stipendium. Für die Bewerbung um eine der heiß umkämpften Förderungen der Italienischen Regierung wühlen sich alle Interessenten durch einen Stapel von Formularen, Sprachtests, Gutachten und noch mehr Formularen. Aber die Mühe lohnt sich: Wir wurden zu einem Auswahlgespräch eingeladen, bei dem wir die Gelegenheit bekamen, unser Studienvorhaben einer zehnköpfigen Kommission vorzustellen. Am Tag des Gesprächs dann die Ernüchterung: Was wir in Florenz anstellen wollen, interessiert niemanden. Es handelt sich um eine reine Abfrage von Geschichtswissen. Ja, es kommt mir beinahe so vor, als sei ich nur dort, damit man jemanden hat, auf dem man rumhacken kann. Nach diesen persönlichen Gesprächen plagt jeden von uns derselbe Gedanke: “Wieso hassen die mich so? Was hab ich denen denn getan? Und wieso haben sie mich überhaupt zu dem Gespräch eingeladen, wenn sie mich doch offensichtlich so doof finden!?“ Aber die schlimmsten Erwartungen werden nicht bestätigt: Die meisten erhalten ein Stipendium und die Selbstzweifel und Rachegedanken, die jeder nach der Bewerbung hegte, sind wie weggeblasen! Um dann bald wirklich das versprochene Geld in Händen zu halten, müssen jetzt nur noch ein paar Behördengänge erledigt werden. Dazu fahre ich an einem Mittwochmorgen im Mai mit zwei Freundinnen, beide ebenfalls Stipendiatinnen, in das Konsulat nach Köln. Um 9 Uhr stehen wir fest entschlossen und zu allem bereit vor dem italienischen Amt. An der Information erkundigen wir uns, wo wir hin gehen müssen, um unser Abiturzeugnis beglaubigen zu lassen und ein „Documento unico“ zu erhalten. So recht weiß die angesprochene Dame das nicht. Wozu wir das denn brauchen würden? Wir erklären es ihr, stoßen aber auf grobes Unverständnis. Nach längerem Durchfragen befinden wir uns schließlich im Keller des Gebäudes, wo man uns angeblich unsere Abiturzeugnisse ins Italienische übersetzen und dann beglaubigen wird. Weit gefehlt, denn dort ist man noch nicht einmal bereit, sich unsere Zeugnisse auch nur anzusehen und schickt uns stattdessen sofort zum Notar, damit der unsere deutschen Zeugnisse beglaubigen kann. Dass ich schon wohlweißlich beglaubigte Kopien mit dabei habe, interessiert keinen. Man weigert sich, meine Kopien anzusehen und fragt, ob ich glaube, mehr Ahnung zu haben, als die Angestellten. Nein, natürlich nicht… Geschlagene zwei Stunden sitzen wir im Zimmer des Notars, der die Kopien unserer Zeugnisse mit gefühlten 160 Stempeln versieht. Überflüssig zu erwähnen, dass ausgerechnet meine Kopien keinen Stempel mehr brauchten. Eins sei aber an dieser Stelle bemerkt: Unser Bild von der italienischen Bürokratie müssen wir korrigieren, denn nacheinander und in perfekter Ordnung werden Kopien erstellt, Stempel akkurat nebeneinander gesetzt, Notizen in Schönschrift vermerkt und alles ganz genau kontrolliert. Als wir wieder im Büro im Keller stehen und stolz unsere Beglaubigung vorzeigen, erfahren wir, dass man in Köln nicht für uns zuständig ist und wir nach Hamburg oder Dortmund fahren müssten. Kleinlaut bitten wir um eine Ausnahme, was wir aber sofort bereuen, da dies einen erbosten und vor allem lautstarken Streit der beiden Beamten auslöst. Nach einigen Minuten werden plötzlich wir zur Zielscheibe der Aggressionen und in uns wächst der Wunsch nach Flucht! Aber wir haben Glück, die Wogen glätten sich und man ist bereit, für uns eine Ausnahme zu machen. Um die anderen Dokumente ausgehändigt zu bekommen, werden wir ans Italienische Kulturinstitut verwiesen und die Odyssee geht weiter. Leider hat dort nämlich noch nie zuvor jemand etwas von ähnlichen Dingen gehört und wir erhalten lediglich den wenig hilfreichen Tipp, uns doch noch einmal an den Notar zu wenden. Und wieder sitzen wir dem Notar gegenüber, der uns schon kennt. Auf dem „Documento unico“ bestätigt er uns, dass wir auch wirklich wir selber sind! Nach einigen Minuten erscheint der Konsul höchstpersönlich im Notariat und bringt einer meiner Begleiterinnen ihre Passfotos zurück, die sie irgendwann auf dem langen Weg zwischen den vielen Büros verloren haben musste. Er wusste sofort, wo wir gerade waren. Nachdem wir schon mit fast dem ganzen Konsulat Bekanntschaft gemacht hatten, wusste jeder von den drei Studentinnen, von denen allerdings niemand so richtig verstand, was sie eigentlich wollten! Nach einer weiteren Stunde befanden wir uns wieder im Keller. Nach kurzem Warten und der Angst, dass man es sich zwischenzeitlich mit unseren Beglaubigungen doch noch anders überlegt haben könnte, halten wir die Formulare endlich in den Händen. Mit den Dokumenten fest an uns gedrückt verlassen wir völlig fertig aber überglücklich auf dem schnellsten Weg das Gebäude. Wieder zurück in Bonn treffe ich eine Freundin. Auch sie wird das nächste Jahr in Florenz verbringen. Ob ich etwas Neues zu berichten habe, fragt sie erwartungsvoll. Resigniert schüttele ich den Kopf: „Du etwa? Vielleicht wann genau das Semester anfängt oder wie das mit den Modulen läuft?“ – Nein, auch sie nicht. Als ich wieder zu Hause an meinem Schreibtisch sitze, gerate ich, wie seit ungefähr drei Monaten jeden Tag, auch heute wieder automatisch auf die Internetseite eines Fluganbieters. In zwei bis drei Monaten muss ich in Florenz sein. Ich entdecke einen einzelnen Billigflug für Anfang September und so langsam macht sich in mir die Torschlusspanik breit. So schnell ich kann, buche ich diesen Flug, als sei es meine letzte Möglichkeit, rechtzeitig nach Italien zu gelangen. Ich fliege am 10. September, ohne überhaupt zu wissen, wann meine Vorlesungen beginnen werden. Dass die Uni dort vielleicht schon eine Woche vor meinem Flug anfängt, kommt mir kurze Zeit später auch in den Sinn, aber ich versuche es locker zu nehmen, ganz „all’italiana“: „Es wird schon alles irgendwie klappen…“ ist zu einem der wichtigsten Sätze während der Vorbereitung auf das Italienjahr geworden!
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