Plaza Dorrego in San Telmo
   
 

Bunte Blechhütte in La Boca
   
 

Tanzlocation 'La Viruta'
   
 

Avenida 9 de Julio
   
Wenn man tagsüber durch die Straßen von Buenos Aires spaziert, ist das Verletzungsrisiko sehr groß: kaputte Straßen mit Rissen und Schlaglöchern bieten ideale Voraussetzungen für einen ordentlich Bänderriss. Nachts wird der Parcours durch die sich am Straßenrand stapelnden Müllberge noch erschwert. Die Konzentration, die benötigt wird, um sich nicht zu verlaufen und ständig zu stolpern, verdrängt die einen umgebende Hektik und Lautstärke. Dies nicht nur, wenn man sich in der Nähe der lächerlich großen Avenida 9 de Julio aufhält.
Die Bürger von Buenos Aires werden porteños genannt. Auch streunende Hunde sind manchmal vollintegrierte porteños, weil sie sogar das Metrosystem nutzen. Unzählige Tauben tragen mit ihrer Verdauung zum rustikalen Stadtbild bei. Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt! Es ist die Hauptstadt eines Landes, das seine größte Krise schon längst überwunden hat. Diese Krise verdient es wahrlich Krise genannt zu werden. Von ihr kann das voyeuristische Europa nur träumen. Buenos Aires hat vielleicht gerade deshalb dieses gewisse Etwas, diesen Charakter, der die Stadt einmalig macht.

Tango tanzen

Wer nach Peru reist, soll Machu Picchu, eine aus dem Mittelalter erhaltene Ruinenstadt, besichtigen. Wer Sydney besucht, soll sich das Opera Building nicht entgehen lassen. Das sind beispielhafte, berühmte Reisetipps, die in jedem Reiseführer stehen. Wenn es aber darum geht, die Menschen und die Kulturen kennen zu lernen, sollte man in Buenos Aires Tango tanzen.
Die Vergangenheit, die eher von Rückschlägen geprägt ist, ist nach wie vor präsent. Die Musik die das widerspiegelt ist der Tango. Entstanden in einer Zeit, in der vieles sehr schlecht war, tanzten es ausschließlich Männer. Mir wurde erklärt, dass es Männer waren, die es schwer hatten und die Schuld dafür vor allem dem schönen Geschlecht gaben: Der Job war mies, wenn es denn überhaupt einen gab. Der Vermieter ist sowieso ein Idiot. Die Wohnung ist futsch. Aber vor allem: die Frau! Das Hocherotische, schon fast Pornographische, kam erst durch die Teilnahme von Frauen. Das machohafte Verhalten ist geblieben: die Frau wird vom Mann geführt, auf eine sehr bestimmende Art und Weise.
Tango war eigentlich eher ein Tanz für die ältere Generation, aber mittlerweile wird auch die jüngere Generation vom Fieber gepackt und tanzt Tango, wenn auch teilweise zu modernerer Musik und in Diskotheken oder auf Partys.

„La Viruta“ – Eine Location im Stadtteil Palermo

Ein schöner Ort dies zu tun ist „La Viruta“ (dt.: der Span). Diese Location liegt in der Armenia im Stadtteil Palermo. Sie ist sehr groß und man kann dort essen, etwas trinken, tanzen und vor allem: Tanzen lernen. Der Eintritt für diese außergewöhnliche Tanzschule beträgt 20 Pesos (ca. 3,50 €). Das Event findet im Keller statt. Als ich erstmals in die Tanzschule hinunter ging war noch der Rock 'n Roll-Kurs in Aktion. Auf einer unheimlich großen Tanzfläche tanzten Paare wie wild den Tanz aus den 1950 er und 1960er Jahren. Beeindruckend.
Bevor es losgehen konnte, wurde die große Anzahl der Teilnehmer in 3 Gruppen aufgeteilt. Die erfahrenen Tänzer mussten aus Platzgründen sogar auf eine andere Etage. Die etwas besseren und die Anfänger teilten sich auf der Hauptfläche auf. Die Anfängergruppe bestand aus circa 40 Personen und uns wurden die ersten vier bis sieben Schritte erklärt. Dann ging es auch schon los. Meine brasilianische Partnerin war ähnlich ungeschickt wie ich, konnte jedoch meine Nationalität aufgrund meiner roboterhaften Bewegungen ziemlich sicher erraten.
Ich kann nicht behaupten, den Tanz zu beherrschen. Fehlendes Rhythmusgefühl und zu abgehackte Bewegungen werden jeden Kenner die Augen verdrehen lassen. Aber allein die Erfahrung sich darauf einzulassen und sich mit den Argentiniern über ihren Tanz und ihre Geschichte zu unterhalten, hat einen größeren Wert als jeder Museumsbesuch.
Es gibt Reisen, die ausschließlich dazu dienen, sich zu erholen und Urlaub zu machen: Vollpension, Strand, Sonne. All das, was im alltäglichen Leben fehlt. Es gibt aber auch Reisen, die einem Erfahrungen bringen, die nicht mehr vergessen werden. So eine war für mich mein Aufenthalt in Buenos Aires. Ich habe mich mit den porteños unterhalten und sie kennengelernt. Es beeindruckt mich noch im Nachhinein sehr, auf welche Art und Weise sie sich ablenken von den alltäglichen Problemen, die einst alles andere als alltäglich waren: sie tanzen!

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