"Wir haben den Bastard endlich ausgeknockt!“ Sagt Hillary am 29. Mai 1953 seinem Freund Georg Lowe, kurz nach der gelungenen Erstbesteigung des Mount Everest, der mit 8848 Meter höchsten Erhebung der Erde. Hillary und seinem Sherpa Tensing ist das gelungen, was anderen Alpinisten bisher verwährt war. Bis zum heutigen Tag gibt es zwar Spekulationen, ob nicht Georg Mallory bereits 1924 den Gipfel erreicht hat. Dessen letzte Sichtung war auf 8500 Meter, dieser kehrt aber nicht lebend vom Berg zurück. Seine Leiche bleibt Jahrzehnte verschollen und selbst als man sie auf 8200 Meter entdeckt fehlt die Kamera mit einem möglichen Beweis für die Gipfel-Erstürmung.

Die Nachricht, dass eine britische Expedition den Gipfel-Wettlauf für sich entschieden hat, erreicht die junge britische Königin Queen Elizabeth II pünktlich zu ihrer Krönung. Später erhebt sie Hillary sogar in den Adelsstand für diese Leistung, der sich aber – in seiner für ihn typischen Bescheidenheit – weiterhin mit „Ed“ anreden lässt. Dabei ist das Team aus dem Neuseeländer Hillary und dem einheimischen Tensing nicht einmal die Top-Wahl des Expeditionsleiters John Hunt. Sie sind lediglich die zweite Wahl, falls es dem Team aus den Briten Evans und Bourdillon nicht gelingt den Gipfel zu erreichen. Und tatsächlich Team-1 erreicht den Südgipfel des Everest in 8751 Meter Höhe, der Hauptgipfel scheint greifbar nahe. Weniger als 100 Höhen-Meter sowie 350 Meter Luftlinie trennen die beiden von der Sensation, doch Evans Sauerstoff-Ventil versagt. Er bekommt kaum noch Luft. Bourdillon will aber weiter – notfalls alleine. Fünf Stunden bis zum Gipfel und zurück zum Lager auf dem Südsattel in 7900 Meter Höhe. Der Sauerstoff-Vorrat reicht nicht so lange und der folgende Abstieg wäre im Dunkeln. Evans versucht Bourdillon zur Vernunft zu bringen, „wenn Du weitermachst Tom siehst Du Deine Frau nicht mehr wieder“. Das zeigt Wirkung. Die beiden treten den Rückweg an und das Ersatz-Team bekommt seine Chance.

27. Mai – Hillary und Tensing erreichen den Südsattel. Sie planen, am nächsten Tag ein weiteres Lager auf 8500 Meter zu errichten, um von dort den Gipfel anzugehen. Allerdings sind ein paar der Sherpa, die helfen sollen die Ausrüstung in diese Höhe zu bringen, bereits ausgefallen. So trägt jeder am nächsten Tag eine Last von 28 Kilo. Schon unter normalen Umständen eine große Belastung. In dieser Situation nahezu mörderisch.

28. Mai – Lager IX in 8500 Meter, die Stratosphäre scheint greifbar nahe. Das hier errichtete Lager kratzen die beiden aus Eis und Geröll auf einer Plattform, die gerade Platz für sie zwei bietet. Des Nachts müssen sie darauf vertrauen, dass ihr eigenes Körpergewicht ausreicht das Zelt zu stabilisieren. Es gibt kaum eine Möglichkeit in Fels und Eis, es sicher zu verankern. Um nicht weggeweht zu werden, krallen sich die beiden bei jeder Böe die ganze Nacht in den Untergrund. Dann eine Hiobs-Botschaft. Die Menge des Sauerstoffs, der ihnen für die Nacht und den morgigen Aufstieg zu Verfügung steht, schrumpft zusammen. Eigentlich haben sie genug dabei, allerdings fehlt plötzlich der Spezial-Adapter für eine extra große Reserve-Flasche. Nun steht ihnen 25 Prozent weniger zur Verfügung. Die Hoffnung auf Erfolg schwindet dahin. Zusammengekauert und röchelnd überstehen sie die Nacht. Die Sauerstoff-Zugabe suggeriert zwar dem Körper sich in 7500 Metern, anstelle der tatsächlichen 8500 Meter zu befinden, dennoch drohen Lungen-Ödeme, Embolien und Schlaganfälle.

29. Mai – 27 Grad Minus, klarer Himmel, ideale Bedingungen für den Gipfel-Angriff. Die beiden brechen auf. In der „Todes-Zone“ kann jeder Schritt ihr letzter sein. Nicht nur, dass der Sauerstoff-Mangel den Organismus völlig auszehrt, Hillary und Tensing schreiten über gefrorene Schneekrusten von denen sie nie genau wissen, ob diese halten oder wegbrechen und laufen auf weichem Pulverschnee, der jederzeit samt dem ganzen Hang abgehen kann. Der Marsch nach oben gerät zur Tortour. Zehn Meter erscheinen wie Kilometer. „Ed, mein Junge, das ist der Everest, gib dir gefälligst etwas mehr Mühe“, spornt sich Hillary immer wieder an.
Gegen 9.00 Uhr erreichen sie den Südgipfel und stellen den Höhen-Weltrekord von Team-1 ein. Das letzte Stück, das nun vor ihnen liegt, ist ein wild gezackter Schneegrat, der in Wellen zum Hauptgipfel führt. Dort ist der Schnee so fest, dass Hillary mit dem Eispickel Stufen hineinschlägt. Ein Fehltritt hier und es geht links wie rechts ein paar tausend Meter in die Tiefe.

Von dem Gipfel trennt sie jetzt nur noch eine senkrechte, mehrere Meter hohe Felsstufe. Eine Schaumrolle aus Eis hängt vom Fels herab, dazwischen verläuft ein Spalt. Dort hinein zwängt sich Hillary, arbeitet sich Zentimeter um Zentimeter vorwärts – später wird man diesen Weg nach ihm „Hillary-Stepp“ nennen – er ringt nach Atem, kommt nur mühsam voran. Wellenberge gleich folgt eine Schneekuppe auf die andere. Nach jeder Kuppe geht es wieder ein paar Meter hinab, bevor sich die nächste etwas höher aufschwingt. Über zwei Stunden dauert der Kampf mit der Wand. Hillary ist am Ende seiner Kräfte. Plötzlich nachdem er eine weitere dieser Kuppen erklommen hat, schaut er sich verblüfft um – es geht nur noch hinab. Die letzten zehn Meter zum Gipfel sind dann nur noch ein Spaziergang. Hillary erreicht ihn als erster, Tensing folgt wenige Augenblicke später. Sie fallen sich in die Arme und können es immer noch nicht fassen. Ein Foto von Hillary auf dem Gipfel gibt es aber nicht. Tensing besitzt keine Kamera und kann auch damit nicht umgehen. So macht Hillary als Beleg ein Bild von seinem Sherpa und Aufnahmen auf die benachbarten Höhen vom Gipfel aus.

Kaum zurück erklärt man Hillary zum National-Helden. Dieser verliert über den Rummel um seine Person nie seine Bescheidenheit, „ich bin nur ein einfacher Bienenzüchter“, behauptet er zeitlebens. „Sir Ed“ ruht sich nicht auf seinem Ruhm aus. Der inspirierende Teil seines Lebens folgt noch. Er kehrt immer wieder in die Himalaja-Region zurück, erklimmt dort eine Reihe anderer Gipfel. 1958 leitet er eine Expedition zum Süd-Pol. 1977 erkundet er als erster den Ganges in Indien von seiner Mündung bis zur Quelle. 1985 fliegt er zusammen mit Neil Armstrong, dem ersten Menschen auf dem Mond, zum Nord-Pol. Von 1985 bis 1989 wird er Botschafter in Indien. Er ruft eine Stiftung ins Leben, den „Himalayan Trust“, sammelt mit dieser jedes Jahr rund eine Viertel-Million US-Dollar und baut davon – zum Teil eigenhändig – über 30 Schulen, dazu Krankenhäuser, Brücken und Wasserleitungen vor Ort und verbessert damit nachhaltig die Lebensbedingungen der Sherpa.

Von Schicksalsschlägen bleibt indes auch Hillary nicht verschont. 1975 verliert er bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Katmandu in Nepal seine erste Frau Luise und die gemeinsame 16-jährige Tochter Belinda. 1989 heiratet er seine zweite Frau Jane Mulgrew, die Witwe eines Freundes, der 1979 für Hillary als Reiseleiter bei einem Touristenflug über die Antarktis einspringt und abstürzt. Sir Edmund Hillary stirbt im Alter von 88 Jahren in seiner Heimat in Neuseeland am 11. Januar 2008. Er hinterlässt neben seiner Frau zwei Söhne aus erster Ehe. Einer davon folgt dem Vorbild seines berühmten Vaters und erklimmt 1990 ebenfalls den Everest. Wegen seines sozialen Engagements wird Hillary zeitlebens geehrt. Zum 50. Jahrestag der Erstbesteigung ernennt man ihn zum Ehren-Bürger Nepals.

„Er war ein Held und eine Führungspersönlichkeit für uns“, äußerte sich Bhoomi Lama von der Nepalesischen Bergsteiger-Gesellschaft. In Nepal wird Hillary wegen seiner Körpergröße von 1.90 Metern „burra sahib“ genannt. Übersetzt bedeutet dies „großer Mann“. In den letzten Jahren betrachtet Hillary mit zunehmender Sorge die Kommerzialisierung der Himalaja-Region. Jedes Jahr versuchen dort über 2000 Bergsteiger den Gipfel zu erreichen. Ein paar Hundert gelingt es tatsächlich. Die Sherpa haben diesen Massen-Tourismus längst als lukrative Einnahmequelle erkannt und bieten regelrecht „gesicherte Touren“ zum Gipfel an. Dieser Andrang verwandelt den Everest allmählich in eine Müll-Kippe. Zuletzt hatte Hillary den Himalaja im April 2007 besucht. „Tugenden wie Kameradschaft seien dem Ehrgeiz der Ich-Menschen gewichen“, äußert er seinen Unmut über die Zustände dort.


Buch-Tipp:

Edmund Hillary, Die Abenteuer meines Lebens
Ullstein Verlag, München

Artikel drucken