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Der Staat Indien, mit etwa 1.21 Milliarden Einwohnern gehört zu Südasien, eine der ärmsten Regionen der Welt, mit über 20% der Weltbevölkerung. Die indische Gesellschaft gilt als ausgesprochen prüde. Sexualität wird in Indien stark tabuisiert und ist vor dem Heiraten streng verboten. Über Sexualität wird in Indien kaum gesprochen. Händchenhalten und öffentliches Küssen ist in der Öffentlichkeit selbst für Ehepartner ein Tabu. Besonders Frauen machen vor der Heirat oft keine sexuellen Erfahrungen und erleben Sexualität später oft als lästige Angelegenheit. Heute ist in Indien die asketische Tradition der absoluten Kontrolle der Sexualität dominant, während im Mittelalter die erotische Tradition des Kamasutra dominant gewesen sein soll. Die asketischen und zölibatären Ideale des Hinduismus oder die viktorianische Sexualmoral der britischen Kolonialherren werden wahlweise von Soziologen für konservative Moralvorstellungen verantwortlich gemacht. Zwangsehen und tabuisierte Sexualität „Auch heute bevorzugen immer noch circa 80 Prozent der jungen Leute arrangierten Ehen statt Liebesehen,“ so der indische Psychoanalytiker Sudhir Kakar 2006 bei einem Stern-Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse. Ein Viertel der indischen Gesellschaft lebt in den indischen Metropolen. In städtischen Slums gibt es für eine Privatsphäre wenig Freiraum. Vielköpfige Familien teilen sich meist nur ein bis zwei Zimmer. Auch wirtschaftliche Not ist ein Grund für fehlende Intimität und Keuschheit. Oft sieht man in Indien Männer, die in der Öffentlichkeit Händchen halten. Das steht für Freundschaft und Zuneigung und darf auf keinen Fall homosexuell ausgelegt werden. Auch die körperliche Distanz zwischen zwei männlichen Gesprächspartnern ist kleiner. „Während des Gesprächs den Arm des anderen zu streicheln, ist gängiger. Das Händchenhalten ist eine Entwicklung davon,“ so Sudhir Kakar, Autor vieler Bücher über die indische Gesellschaft und Kultur. Achtzig Prozent der schwulen Männer sind verheiratet Gleichgeschlechtliche Paare haben meistens gar nicht erst den Mut, sich zu ihrer Liebe zu bekennen. Statistiken zufolge leben in Indien über 50 Millionen Schwule. Achtzig Prozent der schwulen Männer sind verheiratet. Sie führen ein Doppelleben um den Schein zu wahren. Selbst in Neu Delhi stehen ganz wenige Frauen und Männer offen zu ihrer Homosexualität. Schlicht unmöglich ist ein Coming Out in ländlichen Gebieten. Mit einem Outing fürchten viele Homosexuelle auch, ihre Familien bloßzustellen und einhergehende gesellschaftliche Diskriminierung für ihre Familien. Es sei viel besser, ein Doppelleben zu führen, als das Leben der ganzen Familie zu zerstören, argumentieren sie. Aufgrund der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz besteht für Männer eine hohe Nachfrage nach Strichern. Ashok Row Kavi, einer der ersten LBST-Aktivisten, meint, dass sich etwa 46 Millionen junge Männer in Indien prostituieren. Hunderttausende von Homosexuellen und Strichern starben in den letzten Jahrzehnten an Aids, weil sie keinen Zugang zu Hilfe, Information und medizinischer Versorgung hatten. Die Section 377 im indischen Strafgesetzbuch verbietet den „Sex wider der natürlichen Ordnung“ mit der Annahme, dass Sex lediglich zum Kinderzeugen dient. Alle Arten von Geschlechtsverkehr außer Vaginalverkehr sind strafbar. Homosexuelle, Transgender, Kotis, Hijras, Prostituierte und Andere werden unter Androhung des Paragraphen ausgeraubt, vergewaltigt und unterdrückt. Der Paragraph findet keine Anwendung auf lesbische Paare, weil Section 377 für den Sexualakt den Einsatz eines Penis vorsieht. Die Nichtbeachtung von lesbischen Lebensweisen ist in Indien höchst problematisch. Haftstrafen von bis zu zehn Jahren Erst 2009 schaffte der Oberste Gerichtshof in Neu Delhi ein Gesetz ab, das für schwule Handlungen eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren vorsah. Im Februar diesen Jahres fand am obersten Gerichtshof in Neu Delhi die letzte Lesung und das finale Urteil zur Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität als Präzedenzfall für die anderen Bundesstaaten statt. Dieses Thema löst im Vorfeld eine gesellschaftliche Kontroverse aus. Nicht nur religiöse Führer protestieren nachhaltig gegen das Urteil. Auch führende indische Politiker erklären, dass die illegalen und unmoralischen Handlungen von Homosexualität gegen das Ethos der indischen Kultur seien. Der indische Gesundheits- und Familienminister Ghulam Nabi Azad meinte am 04.07.2011 während einer Pressekonferenz in Neu Delhi: “Unfortunately, there is this disease in the world and in this country where men are having sex with other men, which is completely unnatural and shouldn’t happen, but it does.” Der Weltgesundheitsorganisation zufolge führe diese öffentliche Stigmatisierung eines Regierungsmitglieds dazu, dass schwule Männer seltener einen HIV-Test durchführen ließen oder eine Behandlung in Anspruch nehmen würden. Für viele ist Homosexualität als Lebensentwurf in Indien nicht denkbar. Indiens berühmtester Yogaguru, Swami Ramdev, meint sogar: Homosexualität sei eine genetische Krankheit. Stigmatisierung und fehlende Rechte Selbst wenn der Paragraf 377 abgeschafft wird, müssen Homosexuelle gegen das gesellschaftliche Stigma und die Diskriminierung ankämpfen. Die Stigmatisierung gleichgeschlechtlicher Liebe werde durch einen positiven Entscheid des Supreme Court nicht aufhören, gibt eine lesbische Aktivistin in Mumbai zu bedenken. Ashok Row Kavi, ein bekannter Journalist, sorgte 1986 mit seinem Comingout für große Aufmerksamkeit in den indischen Medien. Bis heute ist er einer von ganz wenigen, die öffentlich zu ihrem Schwulsein stehen und sich für die Rechte der Homosexuellen einsetzen. Er hat unter anderem in Mumbai die erste LBST-Hilfsorganisation, den Humsafar Trust gegründet. Aktivisten sehen sich Drohanrufen, Hetzkampagnen und Schmähbriefen ausgesetzt. Kneipen, die seit Jahren heimliche Partys für Schwule und Lesben organisieren, gibt es wenige. In Mumbai und in Delhi werden heute zwar wie in westlichen Großstädten Gay-Paraden durchgeführt, doch die Teilnehmerzahl ist gering. Es gibt in Indien kein Antidiskriminierungsgesetz und für Homosexuelle keine Möglichkeit einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Teil 2 - Das dritte Geschlecht
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