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An einem heißen Freitagnachmittag treffe ich auf dem Welterbe Zollverein in Essen den sogenannten „International Hero“ Tjerk Ridder. Der Abschleppkönig hat seinen Freund Peter Bijl und Hündin Dachs dabei. Zusammen haben sie einen Trip durch die (Kultur)-Hauptstädte Europas unternommen. Mit Wohnwagen, ohne Auto. „Wie das geht?“ mag sich nun so manch einer fragen. Ganz einfach: „Trekhaak gezocht“ - oder auf Deutsch „Anhängerkupplung gesucht“ - heißt das Projekt, dass die Reise ermöglichte. Die Idee, die es dahinter zu verdeutlichen galt, war, dass man andere Menschen braucht, um voranzukommen. Sowohl metaphorisch als auch wörtlich. So weit, so gut. Folglich ließen sich Tjerk, Peter und Dachs von Utrecht aus in zehn Wochen insgesamt 53 Mal abschleppen und bewältigten so eine Strecke von 3500 Kilometer durch acht Länder. Dies ist übrigens Tjerks 2. Reise dieser Art. Sie führte das Gespann über das Ruhrgebiet, Kroatien, Serbien und Bulgarien bis nach Istanbul. Am frühen Nachmittag komme ich in Essen am Zollverein an. Schon von weitem ist der bunte Wohnwagen zu erkennen. Davor sind Pappschilder aufgestellt, auf denen verschiedensprachig nach einer Anhängerkupplung gesucht wird. Freundlich werde ich von den charmant und sympathisch wirkenden Niederländern begrüßt. Obwohl sie sichtlich müde sind von der langen Fahrt, sind sie noch zu Späßen und Plaudereien aufgelegt. So unterhalten wir uns über Fußball und die vertane holländische Hoffnung auf den WM-Pokal… Überhaupt haben Tjerk und Peter viel zu erzählen, von ihrer Reise und ihren Erfahrungen. Wir besichtigen den Wohnwagen von innen. Es drängt sich die Frage auf, was wohl am meisten fehlt auf so wenig Raum. „Privacy“ sagt Ridder, ohne lange zu überlegen. Vermisst hat er allerdings auch regelmäßige Waschgelegenheiten. So hatte es zur Folge, dass er nachdem er drei Tage nicht duschen konnte, im kroatischen Vukovar nackt um eine Sprinkleranlage herumrannte. Wasser ist eben Wasser. „Eigentlich habe ich Angst vor allem“, antwortet Tjerk auf die Frage, was ihn angesichts dieser Widrigkeiten zu dem Abenteuer bewogen habe. Um sich selbst zu überwinden und seinen Horizont zu erweitern, ließ er sich in das Projekt einspannen. Diese Aussage scheint beinahe verwunderlich, kommt sie doch von einem Musiker und gelerntem Schauspieler. Seine etwas schüchterne Art scheint so gar nicht zu dem Klischee des extrovertierten, exzentrischen Lebenskünstlers zu passen. Die Reise war wohl ein wenig so, wie vom 10-Meter Brett zu springen, wenn man Höhenangst hat. Was hat er also gesucht und was hat er gefunden? Auf seiner Homepage (http://www.tjerkridder.nl/) findet man dazu folgendes Zitat: „An experimental journey, looking for hospitality and well willingness in Europe”. Und beides, sagt er, wurde ihm entgegengebracht. Besonders im Ruhrgebiet bei den “Ruhrs”. Selbst in Bulgarien, dem Land, vor dem er am meisten gewarnt wurde und bei dessen Durchquerung er die größten Bedenken hatte. Seien es Einladungen zum Essen, Übernachtungsmöglichkeiten oder einfache Dienstleistungen, wie das Übersetzen des “Trampingschilds” in die jeweilige Landessprache. Bei jedem großen oder kleinen Problem fanden die drei einen barmherzigen Samariter. Die Herzlichkeit reichte sogar für großzügige Gaben aus, wie einen zehn Liter Eimer Gulasch. Da freut man sich besonders, wenn man in einem nicht klimatisierten Wohnwagen im Hochsommer eine so bescheidene Menge verderbliches Gut dabei hat. Naja, bekanntlich zählt nur der Gedanke. Aber auch Tjerk kam nicht mit leeren Händen. Jedem der ihn abschleppte oder ihm auf die eine oder andere Weise behilflich war, übergab er eine eigens angefertigte “Traumdose”. In dieser befand sich, auf ein Papier geschrieben, der größte oder aktuellste Traum des Schreibenden. Die Dose wurde nach dem Befüllen mit dem leichten aber gewichtigen Inhalt luftdicht verschlossen. Außen wurde ein Haltbarkeitsdatum angebracht. Dieses stand für den Zeitpunkt, an dem das Ersehnte zu erfüllen war. Wie kommt man auf so eine Idee und warum, frage ich. Ridder erzählt er wolle etwas zurückgeben von der Freundlichkeit und Herzlichkeit, die er erfährt. Er wolle den Menschen helfen, konkret Dinge umzusetzen, die sie vielleicht sonst nur in ihren Köpfen behalten hätten. Dinge, die unmöglich scheinen. So wie ihm seine Reise erschien. Einen Gedanken oder eben Traum auszusprechen und aufzuschreiben lässt ihn greifbar werden. Auf diese Weise erfuhr Tjerk viel über die Menschen, die er traf. Das Fazit, dass er unter anderem daraus zieht, ist: „Die Leute halten mich für verrückt. Dabei denke ich `Hey, ihr seid die Verrückten`. Die Menschen erzählen einem so sehr private Sachen. Aber auch solche, bei denen man denkt, wie außergewöhnlich und mutig sie sind. Wie zum Beispiel ein Typ Ende zwanzig, der 200.000€ für die Opfer der Tsunami-Katastrophe in Thailand sammelte“. Beeindruckend, stimmt. Und es gäbe noch sehr viele solcher Geschichten von scheinbar einfachen Menschen, die „heimlich“ großes leisten. Mit all diesen Informationen und neuen Erkenntnissen, Ein- und Ansichten, will ich mich verabschieden. Doch bevor ich gehe, darf auch ich eine eigene Traumdose befüllen, ganz stilecht. Erstaunlich finde ich dabei, wie viel Interesse, Mühe und Sorgfalt Tjerk nach so vielen Menschen und so vielen Träumen immer an den Tag legt. Seine einfühlsame und sensible Art lässt keine Unbehaglichkeit aufkommen. Zu guter Letzt mache ich noch einen Eintrag in das „Logbuch“ der Reise, blättere es vorher schnell durch. Alle Vermerke und Notizen sind freundschaftlich, herzlich und beinahe vertraulich. Seine Erfahrungen wird Tjerk in einem Theaterstück verarbeiten, das bereits fast vollendet ist. Nach der ganzen Aufregung und vielfältigen Abenteuer ist er bereits auf dem Heimweg. Ein wenig klüger, ein wenig weiser, vor allem aber ein wenig mutiger ist er geworden. Und gläubiger in die Menschen und die Menschlichkeit. Vielleicht ein moderner Utopist?
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