Dass low-cost Airlines oftmals nicht zentral gelegene Metropolflughäfen ansteuern, sondern gerne auf weit entfernten Wald- und Wiesenflugplätzen landen lassen, die sich allenfalls mit dem Großstadt-Präfix schmücken können, ist kein Geheimnis – „savings do come with a price“. Jedoch stoßen sie auch in Gegenden vor, in die sich früher nie eine Linienmaschine vorgewagt hätte. Wo liegt zum Beispiel Shoreditch oder Haugersund? Und gar Szczecin, Bydgoszcz und Poprad-Zakopane? Tom Chesshyre hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Geheimnis der Provinzpisten auf den Grund gehen.

Chesshyre startet seine Eroberungsreisen in London-Stansted, dem wenig beliebten Flughafen in der Ödnis von Essex, der den Reisenden wohl wie kein anderer das Gefühl von low-cost und Abgeschiedenheit gibt. Eine Bahnfahrt in die Innenstadt ist oftmals teuer als das Flugticket und den abflugbereiten Reisegast erwarten unendliche Schlangen vor den Check-in Schaltern und der gemeinsamen Sicherheitskontrolle für alle 99 Gates des Flughafens. Chesshyre hat hier allerdings nicht mit Menschenmassen zu kämpfen. Er hat Szczecin (Stettin) in Nordwest-Polen gebucht; und das Mitte Dezember. Und ähnlich frostig wie dies klingt, empfindet der Autor das westpreußische Städtchen auch, dessen Darstellung teilweise eher an Sibirien denn Mitteleuropa erinnert. Viel schlimmer allerdings gerät sein Urteil über Poprad-Zakopane, einer Industriestadt in der Slowakei, die eine der letzten Waschmaschinenfabriken Europas ihr Eigen nennen kann. Selbst Backpacker-Reiseführer verlieren hierüber kein gutes Wort und auch Chesshyre kann einer Stadt zwischen Angst vor Zigeunern und der Auswanderung junger Menschen in den Westen auf der Suche nach etwas Wohlstand wenig Positives abgewinnen.

Tom Chesshyre schreibt erfrischend kurzweilig und manchmal mit beißender Ironie ohne jede geheuchelte political correctness. Er trifft Bürgermeister und Ortsvorsteher und skizziert Begegnungen mit Menschen, denen er ohne Ryanair, Sky Europe und Co. nie begegnet wäre. So vielfältig wie seine Begegnungen sind auch seine Reiseziele. Von recht trostlosen osteuropäischen Städten, über das ölreiche und zudem mit einer grandiosen Landschaft gesegnete Haugersund, das verschlafene Paderborn bis hin nach Burgas an der Schwarzmeerküste erstrecken sich seine Expeditionsreisen, die alle eines gemeinsam haben: Über Billigairlines sind sie mit Großbritannien verbunden. Und so ist das ganze Buch auch aus einer recht englischen Warte geschrieben, was es aber nicht minder unterhaltsam macht – eher im Gegenteil. Chesshyre beschreibt seine manchmal recht kauzigen und fast immer reichlich tätowierten Landsleute ungemein plastisch, die zu Junggesellenabschieden oder allgemein auf der Suche nach billigem Bier bevorzugt die Pampa-Flughäfen ansteuern.

Fazit: „Lost in Paderborn“ ist ideal für Leute, die gerne über skurrile Erlebnisse jenseits der eingetretenen Pfade lesen, oder eben auch solche, die bei der Lektüre im heimischen Sessel froh sind, selbige nie am eigenen Leib erfahren zu müssen. Nebenbei erfährt man, dass die Pader der kürzeste Fluss Deutschlands ist, bekommt Kostproben der real existierenden post-sozialistischen Kundenfeindlichkeit und kann erstaunt lesen, dass es in Finnland mehr Saunen als Autos gibt.


Knaur: „Lost in Paderborn“

Autor: Tom Chesshyre
Taschenbuch: 314 Seiten
Preis: € 8,95 (D) / € 9,20 (A)
ISBN 978-3-426-78158-6

Erhältlich überall, wo es Bücher gibt.

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