Von Berlin nach Moskau sind es gut zwei Stunden mit dem Flugzeug, die Eisenbahn braucht rund 30. Wolfgang Büscher legte die Strecke zu Fuß zurück – in drei Monaten.

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Man muss schon ein gehöriges Maß an Disziplin, Kraft und eisernem Willen mitbringen, um es Wolfgang Büscher gleichzutun. Zu Fuß von Berlin in die russische Hauptstadt, und das allein und mit winzigem Gepäck. Im Hochsommer hat er die Oder überquert, in Weißrussland erste Bekanntschaft mit den Widrigkeiten des Herbsts gemacht und schon vor Moskau den ersten Schnee erlebt. Wahrlich eine ehrgeizige Unternehmung, von der Büscher in seiner Reisebeschreibung „Berlin – Moskau. Eine Reise zu Fuß“ berichtet. Dabei prophezeite ihm noch im Heimatland ein alter Soldat, dass er noch nicht mal die Reise durch Polen überleben würde. „Bis Sie in Moskau sind, sind Sie dreimal tot“.
Der Weg Richtung Osten führte durch Polen und Weißrussland, vorbei an Torn, Grodno und Minsk. Oft wanderte Büscher entlang des Weges, den die Heeresgruppe Mitte beim Russlandfeldzug genommen hatte und schon vor ihr Napoleon im Streben gen Moskau. Allein diese Tatsache lässt die Reise unausweichlich mit der Geschichte verschmelzen. Meistens gelingt es Büscher die Balance zwischen Geschehenem und momentanem Erleben zu halten; seitenlange Darstellungen wie die der Gräfin aus Winnogora können aber störend wirken.
Überhaupt ist die Darstellung fern und nah zugleich. Gerade am Anfang der Reise wirkt die Beschreibung etwas gezwungen und Büscher geht auf zu viele nebensächliche Details ein, während die Tour und die damit einhergehenden Strapazen zu kurz kommen. Mit seinem Weiterkommen geht aber auch eine Entwicklung des Schreibstils einher. Erst kompliziert und verschachtelt, wird der Text immer flüssiger und spannender, je weiter der Autor nach Osten vorstößt. In Polen fällt es mitunter noch schwer den Geist des Aufbruchs mitzuerleben, den Büscher durch aus dem Boden sprießende Super- und Baumärkte ausdrückt. Spätestens aber mit dem Eintritt in Lukaschenkos Reich jenseits des Bug, wird die Darstellung immer fesselnder und nimmt den Leser mit in eine andere europäische Welt zwischen Wodka, Schwermut und vergangenem Sowjetreich. Spätestens hier mag man das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Eine gelungene Reisebeschreibung ist eine gute Sache, ohne interessante Menschen die den Weg begleiten, bleibt sie jedoch lückenhaft. Gerade hier steht die Wanderung Büschers unter einem guten Stern, denn er hat das Glück, oder die besondere Gabe immer wieder mit besonderen Menschen zusammenzutreffen, deren Begegnungen das aufgeschriebene Geschehen ungemein aufwerten. So dringt Wolfgang Büscher mit einem Russen tief in das verseuchte Sperrgebiet um Tschernobyl vor, schließt sich einer Gruppe von Schmugglerinnen an, oder trifft auf einen sibirischen Jogi. Nicht zu vergessen das Netz der emsigen Deutschlehrerinnen jenseits der Oder, die ihm für einige hundert Kilometer sicheres Geleit geben.
Das Buch verzichtet auf jegliche Fotos und andere Darstellungen. Lediglich eine Karte mit der Route Büschers wird dem Text vorangestellt. Die Beschreibung lebt allein von der Kraft des Wortes. Wer es dem Autor nachtun will, bleibt auf sich allein gestellt, denn praktische Tipps bietet das Buch nicht. Was bleibt, ist ein tiefer Einblick in den uns fremden Osten und vielleicht ein Hauch von skeptischer Neugier Büschers Spuren zu folgen und selber loszuziehen mit nicht viel mehr als einem Hemd, einer Hose, einem Paar Socken, Pullover und Fleecejacke, Rasierzeug, Karten und einem Schlafsack. Der Weg ist das Ziel.
„Berlin – Moskau. Eine Reise zu Fuß“ von Wolfgang Büscher ist 2004 im Rowolth Taschenbuch Verlag erschienen. Die 240-seitige Reisebeschreibung hat die ISBN 3-499-23677-X und ist für 8,90 Euro im Buchhandel erhältlich.