Alle kennen Spanien, doch viele haben nur wenig Ahnung von dem beliebten Urlaubsland. Grund genug für Raimund Allebrand, ein Werk mit dem aussagekräftigen Titel "Alles unter der Sonne - Irrtümer und Wahrheiten über Spanien" zu verfassen.

Etwas augenzwinkernd werden in diesem Werk "Irrtümer, Halbwahrheiten und Gemeinplätze" auseinander dividiert - und das beginnt mit Carmen. Der Carmen, die so kraftvoll ihre Arien schmettert und die auf der Opernbühne so auszusehen scheint, wie alle Spanierinnen eben aussehen.

Gleich am Anfang des Buches kann man dann das Originalrezept für "Alles unter der Sonne" nachlesen. Dazu gehören unter anderem "300 g Alhambra, 300 g Flamenco, 2 l Rioja-Rotwein, 1 l Sangría - alles gründlich durchmischen" und mit weiteren Ingredienzen anreichern; Zigeunersoße, Gitarren, Kastagnetten, Sherry, Oliven, Stierkampf, Don Quijote gehören auch dazu. Fertig ist der Eintopf. Und damit geht als erstes die geographische, kulturelle und soziale Vielfalt der spanischen Regionen verloren. Denn was der Durchschnittstourist für spanisch hält, ist eher das Stereotyp des mediterranen, im Süden der Halbinsel beheimateten Spaniers.

Eines der Kapitel ist "Al Andalus" gewidmet. Wer sich heute an südspanischen Stränden grillen läßt, ist sich wohl nur in seltenen Fällen darüber im Klaren, welch einen bedeutenden zivilisatorischen Beitrag das maurische Spanien leistete und dass damals eine "plurikulturelle Gesellschaft unter dem Dach des Koran" lebte. Kunst und Kultur erlebten eine Hochblüte, die Handelsbeziehungen florierten, die Übersetzerschulen genossen Weltruhm und das medizinische Wissen befruchtete den Rest Europas, der sich noch im finsteren Mittelalter befand.

Rund 20% des spanischen Wortschatzes gehen mehr oder minder direkt auf das Arabische zurück. Welcher Tourist denkt schon daran, wenn er seinen Kaffee gerne mit "azúcar" (nämlich Zucker) süßt oder wenn er Paella bestellt, deren Hauptbestandteil "arroz" (Reis) ist?

Durch den Niedergang des Islam etablierten sich die christlichen Königreiche. Ohne deren militanten Katholizismus wären die Eroberungen in Lateinamerika, den Philippinen und anderswo nicht denkbar.

Ein weiteres Kapitel befasst sich mit dem nordspanischen Jakobsweg. Der Heilige Jakobus, der in Spanien Santiago heißt, war ein Symbol des christlichen Widerstands gegen die Mauren, später wurde er zum Heiligen der Reconquista und schließlich zum Schutzpatron Spaniens. Die Wege der Pilger wurden zu allen Zeiten zu wichtigen Handelsruten. Der Jakobsweg geriet mit der Zeit in Vergessenheit, doch setzte seit Mitte der 80er Jahre eine erstaunliche Renaissance mit den entsprechenden Folgen ein, die hier beschrieben werden. Nicht umsonst heißt das Kapitel "Der Jakobsweg - Kultur und Kommerz am spanischen Pilgerweg". Wer weiß im Übrigen, dass jener bekannte "El Cid" in Burgos begraben liegt?

Was ist sonst noch typisch spanisch? Stierkampf und Flamenco - ¡claro que sí! Auch diese Stereotypen werden zerpflückt. Die historische Dimension der "corrida" (des Stierkampfs) ist den wenigsten bekannt. Und der Flamenco kommt den Nordspaniern so seltsam vor wie "in Mecklenburg der Schuhplattler". Und welche Wurzeln hat die Prozession zur Semana Santa (der Karwoche), die heute insbesondere in und um Sevilla ein Touristenmagnet ist? A propos Sevilla - welche noch typischere spanische Stadt könnte es geben?

Gegen Ende des Buchs findet sich eine ausgezeichnete Zusammenfassung über Bevölkerung und Gesellschaft heute und über den langen Weg Spaniens nach Europa nach Francos Tod von Walther L. Bernecker. Der Anhang enthält eine hervorragende Auswahl an Daten zur spanischen Geschichte sowie eine umfangreiche Literaturliste.

Der Autor selbst ist Kulturjournalist, Spanien- und Lateinamerikakenner und führt seit vielen Jahren Veranstaltungen über und Reisen in die spanisch sprechenden Länder durch.

Fazit: Ein gut lesbares Buch mit einer Fülle an Informationen, die unsere manchmal etwas einseitige Vorstellung auf unterhaltsame Weise korrigiert.

Das 158-seitige Taschenbuch "Alles unter der Sonne - Irrtümer und Wahrheiten über Spanien" von Raimund Allebrand mit einem Beitrag von Walther L. Bernecker ist 2000 im Horlemann-Verlag in Bad Honnef erschienen. Das Werk mit vielen Schwarz-Weiss-Fotos trägt die ISBN-Nummer 3-89502-121-0 und kostet 10,20 EUR.

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