Neun Monate lang war die zwanzigjährige Marie Pohl unterwegs, um Geschichten und Lebensentwürfe Gleichaltriger in aller Welt zu sammeln. Das Ergebnis, ihr mitreißender Bericht "Maries Reise", handelt aber auch von ihr selbst.

Als Marie Pohl (Jahrgang ’79) 20 ist, hat sie eine Idee: "Ich suche: Die interessantesten Personen meiner Generation. In: Berlin, Havanna, Buenos Aires, San Francisco, Hanoi, Jerusalem, Tbilissi, Helsinki … Ich habe mich entschieden, bevor ich studiere, bevor mich alle mit Sie ansprechen, bevor sich das Fräulein Marie auf seinen auserwählten Weg macht, möchte ich meine Generation in ihrer Anfangs-Aufbau-Zeit finden und porträtieren. Meine Zeit fasziniert mich, und ich will mehr über ihre Menschen erfahren."

Marie Pohl verschickt ein Exposé über ihr Vorhaben an Zeitschriften und Buch-Verlage und bekommt ihre neunmonatige Reise schließlich vom "Stern" und vom Verlag "Rogner & Bernhard" finanziert.

In Berlin, so der Plan, möchte sie einen oder mehrere der für die Stadt so typischen skurrilen Einzelkämpfer portraitieren. In Havanna will sie einen zwanzigjährigen Biochemiestudenten, einen zwanzigjährigen politischen Dissidenten und eine zwanzigjährige Zigarrendreherin finden. In Buenos Aires hingegen will sie sich auf die Suche nach einem zwanzigjährigen U-Bahn-Arbeiter, der sich in der Unterwelt des ältesten U-Bahn-Systems Südamerikas auskennt, ausfindig machen. In San Francisco will sie einen zwanzigjährigen HipHopper auftreiben und einen Collegestudenten an der Berkeley oder Stanford University, der davon besessen ist, amerikanischer Präsident zu werden. In Hanoi geht es ihr um einen Puppenspieler und einen Meisterkoch; in Jerusalem will sie die Zwanzigjährigen fragen, wie sie mit dem Dauerkrieg in ihrem Land leben…

Teilweise findet und beschreibt sie die Leute plangemäß, teilweise sucht sie sie gar nicht mehr, weil sie ganz andere interessante Menschen und Schicksale kennen lernt. Zum Beispiel lernt sie einen wortkargen zwanzigjährigen 70-fachen Computer-Millionär kennen, der im Grunde lieber wieder gute Gratis-Programme erfinden würde oder einen lebenslustigen Kubaner, der eine Kubanerin liebt, aber eine Schwedin heiratet, damit er Kuba verlassen kann.

Die "Reisemarie" selbst verliebt sich gleich am Anfang ihrer Reise in einen Kubaner, woraufhin sie auf der restlichen Reise von Heimweh nach Havanna begleitet wird. Der im Ghetto lebende HipHopper hätte wiederum einen Haufen kreativer Ideen, was er mit 70 Millionen Dollar machen würde.

Ich hatte vor der Lektüre von "Maries Reise" ein paar salbungsvolle Sätze von und über Marie Pohl gelesen und erwartet, dass ich ihren Bericht "Maries Reise" angeberisch finden würde, dass ich sie um ihre gute Idee beneiden würde und um die Entschlossenheit, mit der sie sie umgesetzt hat. Ich erwartete überhebliche und banale Weisheiten über "meine Generation", von der ich nicht ganz verstehe, warum sie sich ausgerechnet nur aus den 20-Jährigen zusammensetzen soll. Außerdem erwartete ich mehr oder weniger praktische Reise-Tipps.

Ich habe mich getäuscht. Es geht in "Maries Reise" überhaupt nicht um allgemeine, globale Erkenntnisse über eine Generation, deren Lebensumstände, Wünsche und Ziele ohnehin viel zu stark auseinander klaffen um Verallgemeinerungen zuzulassen. Es geht vielmehr um die einzigartigen Geschichten einzelner Leute, um Begegnungen, um Freundschaften, die die Erzählerin immer wieder neu in jeder neuen Stadt schließt. Oft hält sie sich aber auch im Hintergrund und beobachtet nur. Ja, "Maries Reise" macht etwas neidisch. Aber irgendwie ist man ja mit dabei. Und gute Ideen kann man nicht nur mit zwanzig haben.

Das Werk "Maries Reise" ist in diesem Jahr in dritter Auflage auf 345 Seiten bei Rogner & Bernhard erschienen. Das gebundene Buch mit der ISBN 3-8077-0169-9 kostet 14, 90 EURO.

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