„Die Stadt wo meine Eltern ihre Kinder großziehn - dachte dran zu gehen doch ich bin da geblieben - hier bin ich aufgestanden und hier bleibe ich liegen - gehöre nach Berlin und das ist für Berlin.“ Mit lässiger Coolness rappt Lisi ihren Song „Berlin“ im Abspann der sehenswerten Doku „Prinzessinnenbad“. Sie drückt dabei das widersprüchliche Heimatgefühl der drei Teenager aus Kreuzberg aus, von denen Bettina Blümners Filmdokumentation erzählt. Doch auch Jan Ole Gersters ebenfalls sehenswerter Film “Oh Boy“, der gerade in unseren Kinos anläuft, behandelt den komplexen Charme der Hauptstadt. Deshalb wagt cw einen Blick über den Tellerrand und testet für euch drei Berlinführer mit recht unterschiedlichen Schwerpunkten.

Tipps für Stadteinsteiger auf bescheidenem Niveau
campus-web-Bewertung: 1,5/5
„Herz mit Schnauze“ - diese Charakterisierung trifft auf die Berliner „ganz gut“ zu, meint Thomas Knuth in seinem kurzweiligen Stadteinsteiger. Um besonders den Berliner Frauen noch mehr reizvolle Attribute zukommen zu lassen, zitiert er eine ganze Seite lang das Online-Berlin-Lexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins e.V.: „[…] In jedem Lebensalter – von der >Jöre< bis zur >Ollen<, vom >Meechen< bis zur >Madam< - bewegen sich die Berlinerinnen frei und ungezwungen, mit Grazie und einem Schuss Koketterie. […]“ Auf gleichermaßen ausführliche und attraktive Generalisierungen zu den männlichen Berlinern hofft man vergebens. Auf 36 Seiten widmet Knuth sich den zwölf unterschiedlichen Stadtbezirken Berlins, beginnend mit Berlin-„Mitte“. Hier heißt es über eine „schwierige Situation“ in einigen Vierteln des Wedding, in Moabit und in Tiergarten-Süd: „Junge Ausländer, die nicht einmal den Hauptschulabschluss schaffen, dauerarbeitslose Hartz-IV-Empfänger und kinderreiche Familien mit geringem Einkommen bilden eine prekäre Mischung. […] [Es] ist viel Geduld erforderlich, um bleibende Erfolge zu erzielen und die Viertel vor dem Absturz zu bewahren.“ Dieses unpassende Ressentiment vom „Absturz“ bestimmter Stadtviertel wirkt völlig deplatziert und undifferenziert.
Thomas Knuth – Berlin for Beginners: Tipps für Stadteinsteiger

Verlag: Berlin Story Verlag
Genre: Stadtführer
Erschienen: Mai 2012
ISBN: 9783929829860
Bindung: Flexcover, Broschur
Seiten: 144
Preis: 14,95
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Auch an anderen Stellen sind Formulierungen im Stadtführer auffallend unbedacht. Im Kunst- und Kulturzentrum Brotfabrik gibt es „Ausstellungen von Berliner und ausländischen Künstlern“. Sind Nicht-Berliner bereits Ausländer? Wenn Knuth über das Yorck-Schlösschen schreibt, lobt er die Bratkartoffeln. ‚Insider-Tipps‘ von Dritten soll man jedoch misstrauen, um sich so manche Enttäuschung „vor allem in der Gastronomie“ zu ersparen. Für neu zugezogene Studierende gibt es unter „Student in Berlin“ ein zehnseitiges Unterkapitel, wo zahlreiche Internetadressen und oberflächliche Kurzinfos gegeben werden. Leider stolpert der Leser auch hier über Ressentiments. So heißt es etwa über den Hochschulsport an Berliner Unis: „Wenn man die Prüfungsfragen des Profs nur mit den Abmessungen des Tennisplatzes beantworten kann, war der Sport nicht richtig dosiert.“ Thomas Knuth arbeitet im abschließenden Kapitel „Von A - Z“ mit zahlreichen ausrufenden Adjektiven wie „Unvergessen“, „Legendär“ und „Besuchenswert“. Sperrige Subjektivierungen erschweren den Lesefluss. So heißt es etwa über die Hansaheide in Neukölln: „Austragungsort des Volksfestes Neuköllner Maitage.“ Ohne dass der Leser etwa über den Hintergrund der Neuköllner Maitage aufgeklärt wird, geht das Ganze dann irgendwie auf niedrigem Niveau weiter. Über das „Märkische Viertel“ heißt es hier lapidar: „Das negative Image hat das Viertel inzwischen abgeschüttelt.“ Der unwissende Leser fragt sich: Welches negative Image? Leider sind andere Bemerkungen jedoch komplett daneben, wenn es etwa unter dem Oberbegriff „Parallelgesellschaft“ im abschließenden Register heißt: „Migranten, die kein Deutsch können und es auch nicht lernen mögen, sind ein Problem in Berlin. Sie finden keine Arbeit und bleiben außen vor. […]“ Weiterführende Erörterungen und einen Stichpunkt wie „Gentrifizierung“ oder „Prekariat“ mit Berlin-Bezug sucht man bei Knuth leider vergebens. Stattdessen findet man Eigenwerbung für persönliche Berlin-Führungen und -Einsteigerseminare mit dem Autor. Insgesamt bietet Berlin for Beginners so einen Wust an weiterführenden Internet-Adressen, zahlreiche oberflächlichen Rundum-Infos und nette, meist überflüssige Anekdoten beispielsweise über Hundekot in Berlin: „Vorsicht, Tretminen!“ Insgesamt gewinnt der Reiseführer jedoch durch das ansprechende Layout, sorgsam ausgewählte Bilder und das handliche Format trotz allem einen Pluspunkt, nicht zuletzt weil einige Berlin-Klischees und Generalisierungen in der Hauptstadt durchaus verbreitet sind. Zur gleichnamigen Online-Präsenz.

You just left the heteronormative sector
campus web-Bewertung: 3/5
Briand Bedford-Eichler (Hg.) – Berlin von Hinten

Verlag: Bruno Gmünder
Genre: Gay Guide
Erschienen: Juni 2012
ISBN: 9783867873628
Bindung: Softcover, Taschenbuch
Seiten: 176
Preis: 11,95
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Berlin ist für homosexuelle Männer noch vor Köln eine der beliebtesten Metropolen. Szenegänger haben hier viel Gelegenheit Gleichgesinnte zu treffen und es gibt eine ganze Bandbreite an einschlägigen Locations. Der handliche, jährlich aktualisierte zweisprachige Guide Berlin von hinten bietet Infos für schwule Männer, die neu in Berlin sind. Er gliedert sich in vier Teile, die jeweils erst in englischer und dann in deutscher Sprache die schwule Szene und das Angebot der Hauptstadt beschreiben. Im ersten Teil werden allgemeine Infos gegeben und wird die (schwule) Geschichte Berlin skizziert. Danach gibt es einen Umriss des schwulen Nachtlebens, des kulturellen Angebots und der Berliner Sehenswürdigkeiten. Im dritten Teil werden einzelne Hotspots vorgestellt. Zu guter Letzt gibt es noch Infos etwa zu stilvollen Hotels und einen Liniennetzplan für das Fahren mit der S- und U-Bahn. Nicht alle Informationen sind für jeden (schwulen) Leser relevant, da der Führer stellenweise eine doch recht persönliche Note hat. So wird etwa der Viktoriapark in Kreuzberg zu den Top Five der Berliner Sehenswürdigkeiten gezählt. Cruising-Erlebnisse werden des Öfteren detailliert thematisiert, so wird etwa auf ein Parkplatzgelände beim Grunewald verwiesen und ein Unterkapitel nennt sich beispielsweise „Ficken & Shoppen“. Der Türsteher Rummelsnuff, an dem man vorbei müsse um die Berliner Location Lab.oratory zu besuchen, sei „Berlins berühmteste[r] Mini-Popeye“, heißt es. Insgesamt bietet der Guide einen leider recht oberflächlichen Eindruck von der Szene. Im Kapitel „Beauty, Sport & Wellness“ wird so der Aqua Relax Tempel im Hotel Esplanade ausführlich vorgestellt, während der schwul-lesbische Berliner Sportverein „Vorspiel“ unerwähnt bleibt. Übersichtliche Stadtpläne mit eingetragenen Sehenswürdigkeiten und Szene-Locations in Schöneberg, Kreuzberg und Prenzlauer Berg entschädigen dann teilweise für die recht einseitigen Rundum-Infos. Als besonderes Extra versprechen dann noch auf den letzten Seiten sechzehn Tickets zum selber ausschneiden freien Eintritt und Preisnachlässe für den Besuch verschiedener Szene-Partys, kleinerer Theater oder etwa dem Schwulen Museum. Ein Großteil der Partys, für die man die Freikarten einlösen kann, findet jedoch Donnerstag- oder Sonntagnachts statt. Viele der Leser, die am darauffolgenden Tag arbeiten müssen, werden sich gut überlegen, ob sie die Tickets tatsächlich einlösen möchten.

Kulturell-künstlerische Highlights im Überblick
campus web-Bewertung: 4/5
Ingrid Nowel – Berlin. Kunst-Reiseführer

Verlag: DuMont Reiseverlag
Genre: Kunst-Reiseführer
Erschienen: 7. Auflage 2012
ISBN: 9783770155774
Bindung: Taschenbuch mit Broschur
Seiten: 416
Preis: 25,90
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Beim studieren des DuMont Berlin Kunst-Reiseführer nimmt einen die Hauptstadtlandschaft mit ihrem kulturellen und künstlerischen Facettenreichtum und der geschichtsträchtigen Vergangenheit völlig für sich ein. Schon auf der zweiten Seite findet der Leser eine Listung von dreiundfünfzig „wichtigen“ Sehenswürdigkeiten in Berlin, die er keinesfalls verpassen sollte oder für die zumindest Umwege lohnen: Vom Brandenburger Tor zum Gendarmenmarkt über das Kulturforum und die Museumsinsel bis hin zu den Schlössern Glienicke und Charlottenburg. Im Kapitel zur Historie Berlins findet man neben Portraits der preußischen Kurfürsten und Könige, die vom 17. Jahrhundert bis 1918 in Berlin herrschten, eine Karte mit einer Gliederung der Stadt um 1840. Manchmal sind die sachlich gehaltenen Textabrisse und historisch gelisteten Datenabfolgen jedoch aufgrund ihrer Informationsfülle etwas leserunfreundlich und trocken. Die großzügig mitunter ganz- und beidseitig gehaltene Bildgestaltung regt dann jedoch zum weiterlesen an, obgleich die Illustrationen oft an Postkartenmotive erinnern. Wenn man die Hauptstadt zuvor schon einmal besucht hat, erkennt man viele abgebildete Orte und museale Objekte wieder und entdeckt trotzdem stets Neues. Die einzelnen, geographisch zugeordneten Kapitel beschreiben detailliert bekannte Gebäude, Museen, Bilder, Skulpturen und historische Persönlichkeiten Berlins. Abgerundet wird das kompakte Werk der Journalisten Ingrid Nowel und Reinhard Fuhrmann durch übersichtliche Karten der kulturell besonders interessanten Orte oder auch an den Seitenrändern durch weiterführende Lesetipps und Anekdoten. Mitunter stößt der Leser bei den durchaus anspruchsvollen und höchst informativen Abrissen jedoch auf Tippfehler. Dies mag auf den vermutlich preisgünstigen Druck in China hindeuten, bei dem auf ein Endlektorat vielleicht verzichtet wurde.

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