Kann eine Recherchereise quer durch die endlos erscheinende pazifische Inselwelt überhaupt Arbeit sein, oder ist sie eher ein langer Abenteuerurlaub? Für Klaus Scherer und sein Team wurde sie sicherlich zu beidem. Oft musste improvisiert werden, waren Weiterflüge bis zuletzt ungewiss oder wurden gar politische Spannungen zum Hindernis. Sozusagen als Nebenprodukt der zweiteiligen NDR-Dokumentation "Auf der Datumsgrenze durch die Südsee" entstand dieses Tagebuch der Reise, erschienen in der Buchreihe des National Geographic. Im Gegensatz zur Dokumentation geht das Buch tiefer, beschreibt viele Zufallsbekanntschaften und gibt jenseits aller nötigen Dramartugie den wahren Verlauf der Recherchereise wieder. Drehstart war in Neuseeland, dann ging es quer durch die Inselwelt der Südsee über die Cookinseln, Tonga, Samoa, Fiji und dem französischen Protektorat Wallis und Futuna weiter nach Kiribati, den Marschallinseln bis hin zur letzten Destination Hawaii.

In zahlreichen Gesprächen mit Einheimischen erfuhr Klaus Scherer über ehemals menschenfressende Maori, warum sich auf Puka Puka bis vor kurzem ein Dorf „Germany“ nannte oder den Hintergrund der Spende von „Ministerschweinen“. Neben der Erzählung vieler Reiseerlebnisse beschreibt Scherer beispielsweise auch die Entstehung der 1874 eingeführten Zeitzonen und das Phänomen der Datumsgrenze, die hier in der Südsee schon für einige Verwirrung gesorgt hat und sozusagen die Leitlinie der Recherchereise bildet. Sie ist keine gerade Linie, sondern vor allem durch die damaligen kolonialen Besitzungen der Imperialmächte geformt worden. Besonders markant ist ein in weiter Versprung um das Staatsgebiet Kiribatis, der wie ein gigantischer Amboss nach Osten reicht, und es den Bewohnern der weitflächigen Inselrepublik erlaubt, im gleichen Tag zu leben.

Ein Teil der Reise führt entlang der legendären "Coral Route", die ab den vierziger Jahren die pazifische Inselwelt erstmals aus der Luft erschloss. Aber nicht nur damals konnte eine Reise mit den Flugbooten zum Abenteuer werden, auch die heutigen Airlines haben so manches Schätzchen in ihren Flotten. Um den Norden Tongas erreichen zu können, musste das Team in eine von dem Inselstaat frisch erworbene DC3 steigen, die ihren Junfernflug bereits 1935 hatte. Zwei weitere Triebwerke hatten aus der DC3 gewissermaßen eine DC4 gemacht. Ein Risiko der ganz anderen Art sollte für Klaus Scherer auf einem Flug nach Puka Puka lauern. Da in der zehnsitzigen Chartermaschine der "Air Rarotonga" auch der langjährige und anscheinend nicht überall beliebte Premierminister der Cookinseln einen Platz gebucht hatte, drohten die Insulaner damit, Löcher in den Runway zu graben, um so eine Landung zu verhindern. Diesem wenig gastfreundlichen Gebahren geschuldet ist wohl auch die Tatsache, dass sich in der Regel nur ein Fremder pro Jahr auf dieses abgelegene Atoll verirrt - kein Wunder, dass der Einreisebeamte erst lange nach dem nötigen Stempel suchen musste.

Die Südsee ist bei all ihrer landschaftlichen Schönheit aber auch ein sehr heterogener Raum. In der amerikanisch-samoanischen Hauptstadt Pago Pago fühlten sich Klaus Scherer und sein Team zwischen den zahlreichen übergewichtigen Einheimischen wie Gulliver im Land der Riesen; auf anderen Inseln hingegen ist das Nahrungsangebot äußerst knapp. Fijis politische Verfassung ist nach einem erneuten Putsch vor einigen Jahren immer noch relativ instabil, während die Regentschaft des von den Inselbewohnern verehrten Königs von Wallis für die meisten seiner Untertanen bis in alle Zukunft reichen sollte. Auf Tuvalu lernte Scherer die Schattenseiten Polynesiens in Form von steigendem Meeresspiegel, gravierenden Umweltzerstörungen und die große Problematik der Abwanderung - vor allem nach Australien und Neuseeland - kennen. Selbst ehemalige Regierungsschiffe verrotten im Hafen, und eine Besserung der Situation scheint nicht in Sicht.

Fazit: "Auf der Datumsgrenze durch die Südsee" ist ein Buch über eine hochinteressante Reise über, auf und unter Wasser. Es beschreibt eine Region, die im allgemeinen nur mit exotischer Schönheit und paradiesischen Stränden in Verbindung gebracht wird. Scherer geht tiefer und zeigt auch die Schattenseiten des Paradieses.


National Geographic: „Auf der Datumsgrenze durch die Südsee“

Autor: Klaus Scherer
160 Seiten
Preis: € (D) 12,95 / € (A) 13,40
ISBN: 978-3-492-403740

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