Wer Musikvideos am Stück gucken will, schaut schon lange nicht mehr MTViva. YouTube, MyVideo und sonstige Videoportale ersetzten schon jetzt das traditionelle Musikfernsehen. Besonders seitdem Musikvideos nur noch in Randzeiten gezeigt werden, sonst aber vorwiegend amerikanische Teens und Twens vor laufenden Kameras ihre Seelenverwandten oder zumindest jemand zum rummachen suchen. Wer also einfach nur Musikvideos schauen will, sitzt im Moment ziemlich auf dem Trockenen. Das will das neue Musik-TV des Videoportals MyVideo.de ändern, das ihr unter diesem Link erreicht.

Die Idee klingt schon mal gut: Eine Riesenauswahl an Clips aller populären Musikstile, alles komplett umsonst und sortiert in einzelnen Channels vom Charts bis Metal. Das Portal ist noch in der Aufbau-Phase, dementsprechend ist es normal, wenn noch das ein oder andere Feature fehlt. Das Design ist aber schon mal sehr ansprechend: Viel schickes Schwarz, dezentes Orange, alles ist übersichtlich angeordnet. Sobald man die Seite öffnet, wird ein zufälliges Video abgespielt.

Ganz so schön, einfach und unkompliziert ist das Musik-TV bei näherem Hinsehen aber nicht So ist die Kategorisierung nach Musikrichtung und Charts zwar durchaus lobenswert, aber noch nicht ganz ausgereift. Wer gerade mal Lust hat, die Videos seiner Lieblingsband zu schauen, muss Geduld, Zeit und Glück mitbringen. Was nämlich gerade gespielt wird, ist in der Playlist am rechten Bildrand angegeben – und ohne ständiges Eingreifen des Zuschauers wird immer schön ein Video nach dem anderen gezeigt. Wer sein Lieblingsvideo vermisst, muss die endlos lange Liste durchscrollen, und das ist auch nicht immer eine Erfolgsgarantie. Helfen könnte zweifellos eine Suchfunktion, mit der man gezielt nach seinen Lieblingsvideos suchen könnte. Die fehlt aber leider ganz. Wer also im „Rock“-Channel gerade keine Lust auf alte Videos von Bryan Adams und U2 hat, dem bleibt nichts anderes, als ständig irgendwelche Videos wegzuklicken und ein neues zu wählen, was eher dem persönlichen Geschmack entspricht. Was außerdem noch stört, ist die fehlende Möglichkeit, seine Playlisten zu personalisieren und so quasi das eigene „Best-of“ der Lieblingsvideos einzurichten. Noch ist der Zufall der Herr über die Musikvideos.

Auch noch nicht ganz optimal ist die Qualität der Videos. Manche der Videos sind im kleinen Format schon schwammig und verpixelt. Aber selbst die Videos, die eine gute Qualität haben, sind in der Bildschirm-füllenden Version nur noch unscharf. Wer seinen PC also als Fernseher nutzen möchte und die Videos wirklich in voller Display-Größe sehen will, dem sind hier schon Grenzen aufgesetzt. Ebenso störend ist auch die Audio-Qualität einiger Videos. Da scheppert und hallt es im Hintergrund wie in einer schlecht aufgenommenen und gerippten Version.

Wer nicht über die schnellste Internetverbindung verfügt oder noch zusätzlich andere Tabs, Fenster und Internetprogramme geöffnet hat, wird schnell mit einem weiteren nicht ganz so erfreulichen Aspekt von Musik-TV konfrontiert. Viele Videos wie auch die Playlist brauchen lange, um zu laden, und auch Aussetzer und Bildstörungen mitten im Song sind nicht selten. Immerhin, das steht fest, ist das ganze ja umsonst und liefert mehr Freiheiten als die Wahl zwischen MTV und Viva. Als erstes fällt vor allem auf, dass kein singender Schmusehase, ein tanzendes Krododil oder sonstiges Kleingetier zu sehen sind: Musik-TV präsentiert sich völlig frei von Klingeltonwerbung. Ganz ohne Werbung geht es aber trotzdem nicht, und die ist sogar nervender als im echten TV: nach ein bis zwei Clips kommt unweigerlich ein Werbespot eines bekannten Getränkeherstellers.

Unterm Strich bleibt Musik-TV nicht mehr als eine gute Idee, die noch viel Ausbau braucht, um wirklich MTViva ersetzen zu können und auch eine größere Zahl an Zuschauern finden zu können. Noch ist die Seite einfach zu kompliziert und chaotisch, um eine ernstzunehmende Alternative zu sein zum klassischen Musikfernsehen zu sein. In Zeiten des Web 2.0, in denen jeder sowieso schon seine Favorites bei youtube gekennzeichnet hat und ein wohl gepflegtes Profil bei last.fm ist Musik-TV in seiner jetzigen Form für die Menschen, die sich tatsächlich noch Musikvideos anschauen, überflüssig.

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