campus-web Bewertung 4/5
   
An der Seite von Lemmy Kilmister mit einer von Ozzy Osbourne aufgemotzten Streitaxt Glam-Rockern Schminke und Haarspray aus dem Gesicht klopfen? Für so manchen Metalfan vielleicht eine Traumvorstellung. Doch mit ihrem neusten Werk machen Designerlegende Tim Schafer („Monkey Island“-Serie) und Double Fine genau das möglich. Und vieles weitere. Doch ist wirklich alles Gold, wo „Tim Schafer“ draufsteht?

Es klingt tatsächlich wie ein Metaller-Traum: „Brütal Legend“ versetzt den Spieler in eine alternative Welt, ein Universum, dass offenbar nach dem statistischen Mittel aller Metalalben-Coverartworks erschaffen wurde. Komplett mit gigantischen Skelettbergen, überdimensionierten Motorblöcken, steinernen Iron-Cross-Monumenten oder gar einer ganzen Steilküste aus Gitarrenverstärkerboxen und -Topteilen. Große Namen des Genres geben sich die Klinke in die Hand und man darf eine Armee von loyalen Headbangern in die Freiheit führen.

Der Traum beginnt jedoch mit einem Bühnenunfall: Der Spieler schlüpft in die Rolle von Eddie Riggs, dem besten Roadie des Musikgeschäfts, gesprochen von Jack Black. Als bei einer Show ein Teil der Kulisse einstürzt, ist Eddie als pflichtbewusster Roadie natürlich zur Stelle. In diesem Fall jedoch wird er selbst von herabfallenden Bühnenelementen erschlagen. Ein Blutstropfen erweckt dabei seine Gürtelschnalle zum Leben und verfrachtet ihn in die fremde Welt. Die Begrüßung durch einige dämonische Kuttenträger fällt eher unfreundlich aus, doch glücklicherweise ist eine Streitaxt und Eddies geliebte Gitarre zur Stelle um den Halunken Saures zu geben. Neben vielen Feinden findet er auch Ophelia, eine kampfkräftige Jeans- und Bandshirt-Amazone, die ihn in das Lager einer Widerstandsgruppe führt, denen eines fehlt: Ein Roadie!

„Brütal Legend“ erzählt hier eine enorm motivierende und abwechslungsreiche Geschichte, die mit Plot-Konventionen spielt, und viele interessante Charaktere zeichnet, die für entsprechendes emotionales Engagement des Spielers sorgen.

Überhaupt ist das allgemeine Spieldesign von „Brütal Legend“ eine gewaltige Leistung: Die faszinierend inszenierte Spielumgebung, Charaktere und Story, alles greift perfekt ineinander und kreiert eine sehr dichte Spielerfahrung. Allein die skurrile Umgebung zu erkunden und dabei durch den lizensierten Soundtrack aus ca. 120 Heavy-Metal-Klassikern zu schalten, kann schon fesseln. Original sind auch die Synchronsprecher der handelnden Figuren: Lemmy, Ozzy, Rob Halford oder Lita Ford gaben sich die Ehre und liehen den entsprechenden Alter Egos ihre Stimme.

Fast vergisst man bei soviel überzeugendem Design das Gameplay selbst, doch auch hier hat man bei Double Fine nichts wirklich falsch gemacht. Im Gegenteil: „Brütal Legend“ bietet eine klassische Action-Adventure-Mechanik in einer offenen Spielwelt. Mit Axt und magischer Gitarre schnetzelt man sich effektvoll durch Gegnerhorden, absolviert Fahreinlagen und erfüllt Aufträge. Dabei lassen sich sogenannte Feuertribute verdienen, die ihr bei Ozzy, dem „Hüter des Metal“ gegen Fahrzeug- oder Waffenupgrades eintauschen könnt.

Befreite Gefolgsleute begleiten euch fortan. Bald stellen sich Headbanger, Groupies und Biker in euren Dienst. So wird der Grundformel des Spiels Echtzeitstrategie beigemischt: Eddie bewegt ihr weiterhin selbst, gebt aber euren Kameraden per Steuerkreuz Befehle.

Den Endpunkt dieser Entwicklung markieren schließlich die fulminanten Bühnenschlachten: Zwei Fraktionen bauen sich mit ihren Bühnen an beiden Seiten des Feldes auf, sammeln Ressourcen und produzieren Einheiten, die letztlich die gegnerische Bühne abräumen sollen. Ressourcen, das heißt in diesem Fall Fans, die als Geister aus Öffnungen im Boden strömen und durch Merchandise-Stände für die eigene Seite gewonnen werden können. Dieselben sind letztlich der Schlüsselpunkt in diesen Kämpfen: Wer die Fans auf seiner Seite hat, gewinnt. So wirft man verschiedenste Einheiten mit individuellen Stärken und Schwächen ins Feld, um bei den Merchandise-Ständen die Oberhand zu behalten.

Hier entwickelt sich jedoch auch ein Streitpunkt von „Brütal Legend“: Die einen loben die Schlachten als die beste Echtzeitstrategie-Lösung, die es auf Konsolen je gab, die anderen bezeichnen die Bühnenschlachten als unübersichtlich, schlecht balanciert und nicht gut spielbar. Fest steht, dass „Brütal Legend“ in seinem Strategieteil Umdenken fordert. Wenn man nämlich einmal seine grundlegenden Mechaniken gemeistert hat, machen sie eine Menge Spaß.

Unterm Strich ist „Brütal Legend“ eine wirklich erfüllende Spielerfahrung, was Präsentation, Story und auch das actionreiche Gameplay betrifft. Kritikpunkte muss sich Entwickler Double Fine allerdings auch gefallen lassen: Gelegentlich lassen sich ein paar technische Mängel ausmachen und die Grafik ist trotz allen Charmes nicht unbedingt auf der Höhe des Möglichen. Auch sind die vielen Nebenaufträge oft repetitiv und zuweilen nicht sehr motivierend. Insgesamt hätte man sich auch etwas mehr Spielzeit gewünscht. Wer darüber hinwegsehen kann und die Bereitschaft aufbringt, sich mit dem Strategieteil des Spieles etwas über Gebühr auseinanderzusetzen, wird mit „Brütal Legend“ viel Freude haben und einen Kauf sicherlich nicht bereuen.

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