Gesellschaftsspiele: Wilde Fantasyschlacht im Wohnzimmer gefällig?
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Campus-Web Bewertung: 4,5/5
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„Mein Dunkelelf fragt jetzt mal den Zwergen-Palladin, ob hier heute schon ein Oger-Nekromant vorbei gekommen ist.“ – „OK, aber jetzt wird Dein Dunkelelf von nem Orkkrieger angegriffen.“ – „Was?! Scheiße! Ich würfel nen W-Sechs und kuck ob ich ausweichen kann. Sonst attackier ich mit Stärke 8 plus zwei wegen meinem Konstitutionsartefakt.“ – „Dein Konstitutionsartefakt hast Du gerade in den Todessümpfen verloren.“ – „Was?! Und meine Stiefel der Vorhersehung?“ – „Auch weg.“ – „Dann pariere ich den Orkangriff mit meinem Harnisch der Unverwüstbarkeit.“ – „Nicht geklappt.“ – „Mit dem Panzerschild plus meiner Nebelaura?“ – „Nö.“ – „Mann! Was isn das fürn verkackter Mega-Ork?!?“ – „Jaja, der ist aber auch echt sauer und so.“
Trotz dramaturgischer Überspitzung kommt dieser Dialog einer üblichen Rollenspiel-Unterredung recht nahe. Noch heute ist die Zusammenkunft zwischen Realitätsflüchtlingen und sadistischen Spielleitern in einschlägigen Kreisen eine recht populäre Form, seine Nachmittage und Abende zu bestreiten. Ein etwas weniger spleeniges Ventil der Fantasyanhänger sind neben DSA und Dungeons & Dragons aber auch etliche Tabletops und Brettspiele, die an ganz ähnlich geartete Instinkte appellieren. Allen voran ein schon leicht angestaubter Klassiker aus den 80er Jahren namens „Talisman“, den der Pegasus-Verlag jetzt neu aufgelegt hat. Ein Festtag für alle Mitzwanziger, deren anarchistisches Rebellen-Teenagertum sich in den 90ern in nerdigen Paper & Pen Rollenspielrunden entlud. Ja, auch für mich.
Eine Gruppe von zwei bis sechs bis an die Zähne mit Fantasy-Klischees augerüsteter Abenteurer-Gesellen (von Zwerg über Elf bis Krieger und Zauberer ist alles dabei) macht sich auf die Suche nach der sagenumwobenen „Krone der Herrschaft“ und metzelt sich zu diesem Zweck ihren Weg durch eine gefahrengepflasterte Fantasywelt. Unheimliche Gegenden, schwarze Magie, fatale Ereignisse und inflationär umherstreifende Monster sind hierbei nur die kleineren Gefahrenquellen, die den wackeren Helden da harren. Denn auch gegenseitig wollen sich die Herrschaften mächtig ans Leder und lassen keine Gelegenheit aus, der konkurrierenden Kronenanwärterschaft Sterbehilfe zu leisten.
Die Mannen von Pegasus verpassten dem legendären 80er-Jahre Spieleklassiker einen komplett neuen und zeitgerechten Anstrich, behielten das bewährte Gameplay aber glücklicherweise bei. Da gibt es auch einfach nicht viel zu verbessern. Eine ausgewogene Mischung aus Taktik und Glück und die vielen abwechslungsreichen spielbaren Charaktere machen die (mitunter sehr sehr langen) Spielrunden immer wieder zu äußerst spaßigen Angelegenheiten. Wobei es auch äußerst frustrierend sein kann, seine Mitstreiter beim unbehelligten Einsammeln von diversen monströsen Kampfapparaturen zu beobachten und seinerseits als glück- und mittelloser Assassine an einem eher unimposanten Riesenaffen wiederholt zu scheitern (hieraus entwickelt sich übrigens eine ausgewachsene Privatfehde um meine Abenteurer-Ehre).
Das Spielbrett ist in drei Regionen aufgeteilt: ein äußerer, ein mittlerer und ein innerer Bereich. Bewegungen und Kämpfe werden komplett via Würfelwurf bestritten. Man startet im äußeren Terrain und muss dort solange Erfahrung, Stärke und Ausrüstung sammeln, bis man sich für die beiden schwierigeren inneren Ebenen gewappnet fühlt. Betritt eine Figur ein Feld, wird eine Karte gezogen, was einen Kampf, ein Ereignis oder auch den Erhalt von nützlichen Gegenständen nach sich ziehen kann. Kämpfe werden durch die Addition von Charakterwert, diversen Boni durch Waffen und Rüstung und einem Würfelwurf entschieden. Die höhere Zahl gewinnt. Ein einfaches aber sehr kurzweiliges Konzept.
Eine gewisse Affinität zur Fantasythematik und einiges an Sitzfleisch ist unausweichlich vonnöten, um an „Talisman“ seinen Spaß zu haben. Das simple aber sehr effektive Spielprinzip, die wunderschöne neue Aufmachung und die relativ leicht zu lernenden Regeln sorgen aber für all jene von Anfang an für sehr hohen Spielspaß und relativ frühzeitige Suchtsymptome. Nur die lange Spielzeit dürfte dem ein oder anderen vielleicht sauer aufstoßen. Der Riesenaffenkopf hängt jetzt übrigens als Trophäe über meinem Sofa.