Flimmernd: Zur Serienlandschaft der Nullerjahre.
Am 10. Juni 2007 wurde der Fernsehbildschirm einfach schwarz. In den USA strahlte HBO an jenem Tag die letzte Folge „The Sopranos“ aus. Mit einem radikalen Ende zeigte die Serie einmal mehr ihre Bedeutung für das Fernsehen und die Serienlandschaft des Nuller Jahrzehnts.
„The Sopranos“ feiert im Jahr 1999 Premiere. Zu der Zeit ist Bill Clinton noch Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und Mohamed Atta Student in Hamburg. Die größte Sorge vor den Milleniumsfeiern ist ein globaler Computerabsturz durch die Datumsumstellung. Amerika ahnt noch nicht, dass ihm eine viel größere Katastrophe bevorsteht. Die TV-Landschaft besteht zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aus Sitcoms, Jugendserien und gemütlicher Unterhaltung. Es werden One-Liner aus „Friends“ und „Seinfeld“ zitiert und eine Frage, die alle bewegt: Wann kommen Dawson und Joey endlich zusammen? Dass auch schöne Menschen Probleme haben, zeigen „Party Of Five“ oder „Melrose Place“. Serien wie „Emergency Room“ oder „Akte X“ sorgen zwar für Aufsehen, bedienen aber doch nur die Erwartungen des Zuschauers. Für die jeweilige Dauer einer Folge wird man gut unterhalten und Handlungsbögen spannen sich selten über mehr als zwei Episoden. Das soll erst eine Mafiafamilie aus New Jersey ändern.
Mit „The Sopranos“ wird das klassische Konzept amerikanischer Serien aus den Angeln gehoben und in die Nullerjahre überführt: Komplexe Handlungsverläufe, die sich über mehrere Episoden und Staffeln spannen, sind für den Zuschauer ebenso neu, wie der Verzicht auf eine klassische Trennung von „Gut“ und „Böse“. Immerhin ist Tony Soprano, Zentrum der Serie, ein Mörder, Ehebrecher und Erpresser. Dem der Zuschauer doch alles verzeiht. Für das Fernsehen ist „The Sopranos“ ein Segen, können die TV-Schaffenden bei der Realisierung riskanter Projekte doch auf den unglaublichen Erfolg dieser Serie verweisen. Vor allem der Pay-TV Sender HBO hat sich dabei zum Garant intelligenter und mutiger Fernsehunterhaltung gemausert. David Simons Baltimore-Epos „The Wire“ hätte in den 90ern keine Chance gehabt. Eine Serie ohne klare Identifikationsfigur, die mit fast schon literarischer Wucht aufzeigt, wohin es führt, wenn eine Gesellschaft sich gnadenlos dem Kapitalismus unterwirft. „The Wire“ nimmt den Zuschauer mit in die Sozialbaussiedlungen Baltimores, wo Polizeistationen, Schulen und Stadthäuser einen gemeinsamen Nenner haben: Hoffnungslosigkeit. Denn auch das zeichnet die Serienlandschaft der letzten Dekade aus: Die Welt wird von niemandem gerettet. Die amerikanischen Serienhelden der Nuller sind Serienkiller („Dexter“), todkranke Chemielehrer („Breaking Bad“) oder sexsüchtige Autoren mit Schreibblockade („Californiacation“). Ein Michael Knight hätte im 21. Jahrhundert wohl Potenzprobleme und das A-Team würde auch vor Folter nicht zurückschrecken.
9/11, die Bush-Jahre und der Irakkrieg haben Amerika neurotisch und verletzlich gemacht. Wer ist Freund und wer ist Feind? Mit der Serie „Lost“ wird diese Frage auf die Spitze getrieben. Darf Jack Bauer in „24“ Folter anwenden, um sein Land zu schützen? Serien greifen gesellschaftliche Debatten auf, mischen sich ein und fordern den Zuschauer heraus. Durch den parallel verlaufenden Siegeszug der DVD werden Serien auch bei uns immer beliebter, auch weil man endlich die Möglichkeit hat, diese in der Originalsprache zu genießen. Die Auswahl an intelligenter Fernsehunterhaltung ist mittlerweile riesig und es sieht nicht so aus, als ob sich das in den nächsten zehn Jahren ändern wird. Eines der spannenden Projekte dürfte dabei wohl David Simons New-Orleans-Serie „Treme“ sein, deren Handlung einige Monate nach dem Hurrikan „Katrina“ angesetzt ist. Auch so eine Wunde, die dem Land zugefügt wurde und nur auf den Finger wartet, der sich in sie reinbohrt.
„The Sopranos“ endet in einem American Diner zu der Musik der Rockgruppe Journey. Auf den Tischen Milchshakes, Hamburger und Onion-Rings. Wir sehen Truckfahrer in Flanellhemden und „USA“-Aufdruck auf der Mütze, Großväter mit ihren Enkeln und verliebte Pärchen. Ein amerikanischer Traum, der plötzlich abbricht und uns ratlos zurücklässt. Titel der letzten Folge: „Made in America“.