Ein junger Mann schlägt sich in die Büsche. Die Haare sind nicht allzu kurz, sein grauer Pulli und die Jeans erregen keine Aufmerksamkeit. Schlecht sieht er nicht aus, vielleicht etwas verwahrlost. Versteckt im Grün durchwühlt er seinen Rucksack, holt Alufolie und ein Feuerzeug hervor. Schließlich die Stimme aus dem Off, die uns berichtet das es sich um Mario Krüger handelt, einen 27 jährigen Junkie, der gleich sein frühmorgendliches Blech Heroin rauchen wird um gut in den Tag zu kommen.

Zu sehen waren die, vor einem Jahr gedrehten, Aufnahmen am letzten Wochenende. Um sechs Uhr am 5. September 2009 begann die einmalige Ausstrahlung, ausgewählte Bewohner Berlins auf ihrer Reise durch den Tag. Eine 24-stündige Dokumentation in Echtzeit. Mithilfe des statistischen Jahrbuchs Berlins wurden Besonderheiten der Berliner Gesellschaft ausgemacht und dann in Szene gesetzt. 20 Hauptpersonen ausgesucht, weitere Leben angerissen und etliche Straßeninterviews an den zwölf über die Stadt verteilten Talkpoints geführt. Wer wollte, konnte selbst zur Kamera greifen und seine filmische Botschaft hier hoch laden.

So sollte ein Gesamtbild unserer Hauptstadt entstehen, gelobt und besungen nicht nur von ihren Einwohnern. Berlin wächst zu einer außergewöhnlichen Ideen-Stadt heran, mit eigenem speziellen Charakter, Platz für Kunst und Freiköpfe. Die Bandbreite reicht von Galeriebesitzer Gerd Harry Lybke über den heroinsüchtigen Obdachlosen Mario Krüger zum Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Ebenso verfolgte man den Alltag der mobilen Altenpflegerin Anne Wenzel, den des Transvestiten Gloria Viagra oder man sah der allein lebenden Rentnerin Margarete Hain bei der Zubereitung von Königsberger Klopsen über die Schulter.

Luxuriöse Hotels waren ebenso Schauplatz wie Wohnungen von Hartz IV Empfängern oder auch die Justizvollzugsanstalt Berlin Tegel. Freude und Übermut genauso wie Trauer und Einsamkeit.
Unterbrochen wurden die Bilder der Stadt zur vollen Stunde nur von Statistiken und den O-Tönen der Passanten. Hier wünschte sich beispielsweise ein kleiner Junge, dass sich alle wieder mehr bewegen, weil das eben gesünder sei oder ein stark tätowierter Mann um die 40 plauderte darüber, dass er am liebsten zu Hause ein gutes Buch lese.

Der Regisseur Volker Heise, der schon mit „Schwarzwaldhaus 1902“ und „Abenteuer 1900“ außergewöhnliche TV-Formate vorstellte, erfüllt auch hier wieder seine Vorreiterrolle. Die Idee kam ihm Morgens bei McDonalds. Berliner Hauptbahnhof, Blick auf die gläsernen Rolltreppen und Kaffee in der Hand. Ein Zeitungsartikel über eine britische E-Mail-Sammelaktion brachte ihn auf die richtige Spur. Den Alltag dokumentieren, an die Menschen herankommen, an ihre Geschichten, das ist seine Intention:

„Wie Könige gelebt haben, ist gut dokumentiert, nicht aber das Leben der einfachen Leute Mit „24h Berlin“ dokumentieren wir explizit den Alltag in einer Großstadt.“ (Volker Heise im Interview mit Charlotte Geiger, arte Magazin)

Das gesamte Material wird aufbewahrt, um es nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen, um einen Eindruck unserer Realität zu vermitteln. Die Internetseite wartet zudem mit Informationen rund um Berlin auf und bietet ein Portal, an dem sich die Zuschauer aktiv beteiligen und einbringen können.

Hier ist ein interessanter Rundumschnitt unserer Gesellschaft entstanden. Informativ, innovativ und trotzdem mit viel Einfühlungsvermögen, ohne entstellenden Skandaljournalismus, ist Herr Heise ein Meisterstück gelungen.

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