Selten war das Medieninteresse an einem WWE-LIVE-Event größer als am heutigen Abend. So tummeln sich bereits Stunden vor Showbeginn zahlreiche Journalisten im VIP-Bereich der Frankfurter Festhalle. Im Gegensatz zu sonst ist diesmal nicht bloß die Wrestling-Fachpresse anwesend, sondern Vertreter sämtlicher Sport- und Massenmedien – denn Wrestling ist zur Zeit in Deutschland in aller Munde! Der Grund dafür hört auf den Namen Tim Wiese.

Vor einigen Monaten kursierte erstmals das Gerücht, der ehemalige SV Werder Bremen-Torwart plane eine zweite Karriere als Wrestler für die WWE. Der Marktführer im Bereich Sports Entertainment habe ebenfalls Interesse an einer Verpflichtung Wieses. Was viele zuerst für eine Ente hielten, scheint sich nun doch zu bewahrheiten: An diesem Abend soll Wiese seinen ersten Auftritt für die WWE absolvieren. Das gab der Ex-Torhüter vor einigen Tagen bekannt.

“Let´s go, Wiese!“

Eröffnet wird die Show von drei äußerst talentierten Superstars aus der WWE-Nachwuchsabteilung NXT. In einem Triple Threat Match (nach Eliminierungsregeln) muss der Engländer Adrian Neville seinen NXT-Champion-Titel gegen seine Widersacher Tyson Kidd und Sami Zayn verteidigen. Die drei zeigen ein herausragendes, von eindrucksvoller Technik geprägtes Match, welches mit Nevilles großartigem Finisher, dem “Red Arrow“, und der Titelverteidigung des britischen Highflyers endet.

Das nächste Match bestreiten Fandango und Sin Cara. Obwohl sich die beiden ein recht ordentliches Match liefern, springt der Funke auf das Publikum nicht wirklich über. Womöglich liegt das daran, dass beide WWE-Superstars in den wöchentlichen TV-Shows RAW und SMACKDOWN schon lange keine (wichtige) Rolle mehr spielen und sich das Fan-Interesse folglich sehr in Grenzen hält. Überhaupt scheint sich ein Großteil des Publikums an diesem Abend primär für Tim Wieses anstehenden Auftritt zu interessieren – immer wieder hallen laute “Tim Wiese“-Sprechchöre durch die Festhalle. Sin Caras Sieg über Fandango wird entsprechend kaum zur Kenntnis genommen.

Nun folgt das vermeintliche Highlight des Abends: Tim Wieses erster Auftritt für die WWE. Diesen absolviert der 32-jährige als “Special Timekeeper“, also als Verantwortlicher für den Ringgong, in einem Tag Team Match zwischen den Usos und Goldust und Stardust. Leider geht das Match beim Hype um Tim Wiese ziemlich unter. Das Publikum feiert lautstark den Timekeeper ab, für das Geschehen im Ring scheint sich hingegen kaum jemand zu interessieren. Das könnte allerdings auch damit zu tun haben, dass es diese Match-Konstellation in den vergangenen Monaten (viel) zu oft im TV zu sehen gab – aus dieser Paarung ist einfach allmählich die Luft raus!

Ein wenig Spannung kommt erst nach Matchende auf. Die Usos besiegen Goldust und Stardust – deren Unmut über den Ausgang des Matches kriegt nun Tim Wiese zu spüren, der von Goldust verbal attackiert wird. Das lässt sich der ehemalige Bundesliga-Profi selbstverständlich nicht gefallen. Voller Entschlossenheit entledigt sich Wiese seiner Lederjacke und steigt kampfbereit ins Ring-Geviert. Doch zum körperlichen Schlagabtausch zwischen Wiese und den Rhodes-Brüdern kommt es nicht. Die Ablenkung durch Wiese nutzen die Usos, um Goldust und Stardust erneut anzugreifen und aus dem Ring zu verjagen. Unter lautem Jubel lassen sich Tim Wiese und die beiden Samoaner feiern.

Anschließend steigt Kane gegen Dean Ambrose in den Ring. Ambrose zählt aktuell zu den angesagtesten WWE-Superstars, sein Match gegen Kane hingegen ist höchstens durchschnittlich und leidet zudem etwas unter der undankbaren Positionierung auf der Matchcard – nach dem umjubelten Auftritt Tim Wieses hätte man den Fans wahrscheinlich besser eine kleine Verschnaufpause gegönnt. Die folgt nach dem Match, welches Ambrose gewinnt, in Form der Halbzeitpause.

“Das letzte Wort hat Cesaro!“

Nach der Pause geht es mit einem Six Divas Tag Team Match zwischen Emma, Naomi und Natalya auf der einen und Alicia Fox, Cameron und Summer Rae auf der anderen Seite weiter. Merkwürdigerweise sagt dem Publikum das Match der WWE-Damen durchaus zu, obwohl wrestlerisch nicht allzu viel geboten wird. Besonders die Kanadierin (und Spross der legendären Hart Family) Natalya bekommt sehr viel Zuspruch von den Fans und darf das Match schließlich auch zu Gunsten ihres Teams entscheiden – selbstverständlich per Sharpshooter, dem Trademark-Aufgabegriff der Familie Hart.

War Wieses Auftritt das Unterhaltungshighlight des Abend, folgt nun der wrestlerische Höhepunkt der Show: der “Schweizer Supermann“ Cesaro tritt gegen Dolph Ziggler in einem Match um den Intercontinental Championship an. Beide sind 1A-Wrestler und so überrascht es wenig, dass dieses Match das beste des Abends ist. Cesaro und Ziggler zeigen einen spektakulären Move nach dem anderen und präsentieren sich in sehr guter Form. Auch wenn die eine oder andere Aktion dezent misslingt, kann das Publikum mit dem Dargebotenen mehr als zufrieden sein. Publikumsliebling Cesaro wird nach dem Zig Zag von Dolph Ziggler gepinnt, erweist sich aber nicht gerade als guter Verlierer. “Lieber Dolph“, so der Schweizer, “Wenn die WWE in Deutschland unterwegs ist, hat das letzte Wort: Cesaro!“ - es folgt ein Cesaro-Swing gegen Ziggler, anschließend der Neutralizer. Triumphierend verabschiedet sich Cesaro von seinen Fans, während Ziggler etwas geplättet aus dem Ring krabbelt.

Street Fight

Nach diesem “Match of the Night“ steht das Main Event an: ein Street Fight (ein Match ohne Regeln) zwischen Bray Wyatt und dem frisch zur WWE zurück gekehrten Y2J, Chris Jericho. Es geht ordentlich zur Sache – Bray Wyatt setzt einen Kendo-Stick und die Ring-Stahltreppe gegen seinen Kontrahenten ein – doch bedauerlicherweise präsentieren sich die Zuschauer nicht unbedingt von ihrer euphorischsten Seite. Sitzen im Publikum vielleicht zu viele Fußball-Fans und “Wiesemaniacs“, die mit Wrestling normalerweise eher weniger am Hut haben? Diesen Eindruck kann man durchaus gewinnen und auch Chris Jericho scheint vom zurückhaltenden Zuspruch etwas irritiert zu sein, verhält sich aber durchaus professionell und lässt sich die Enttäuschung kaum anmerken.

Nachdem Wyatt die Anfangsphase des Matches beherrschte, holt nun Y2J zum Gegenschlag aus und sucht unter dem Ring nach einer geeigneten Waffe gegen den “Verschlinger der Welten“. Zuerst präsentiert Jericho den Fans einen weiteren Kendo-Stick, der aber auf Ablehnung stößt. Gleiches gilt für den eisernen Ringgong und einen Werkzeugkasten. Erst als Y2J einen Tisch unter dem Ring hervorholt, jubelt das Publikum. Jericho platziert den Tisch in einer Ringecke und hämmert seinen Gegner durch diesen. Doch bevor Wyatt gepinnt werden kann, erscheint Kane ein weiteres Mal im Ring und greift Jericho an. Das ruft wiederum Dean Ambrose auf den Plan, welcher Jericho zur Hilfe eilt und Kane ein zweites mal an diesem Abend ausschaltet. Mit dem Code Breaker schickt Y2J Wyatt ins Reich der Träume und holt sich den Sieg. Gemeinsam mit Ambrose lässt sich der Kanadier noch minutenlang feiern, während sich die Festhalle allmählich leert.


Fazit: Auch wenn (vom Divas Match mal abgesehen) ausschließlich gute bis sehr gute Matches zu sehen waren, hinterlässt diese WWE-Veranstaltung einen leicht faden Eindruck. Tim Wieses Auftritt erwies sich in diesem Zusammenhang sowohl als Fluch, als auch als Segen. Einerseits war das Interesse an Wrestling lange nicht mehr so groß wie seit Verkündung von Wieses Wrestling-Plänen, andererseits saßen diesmal viele Leute im Publikum, die anscheinend hauptsächlich wegen dem Ex-Fußballer gekommen waren, was der Stimmung nicht unbedingt zuträglich war.

Trotzdem darf man gespannt sein, wie es mit Wiese und der WWE weitergeht. Den richtigen Superstar-Look hat der muskelbepackte Ex-Torhüter definitiv. Fraglich ist allerdings, ob Wiese auch das nötige Talent im Ring und am Mikrophon mitbringt, um sich langfristig neben den anderen WWE-Superstars zu behaupten. Seine Fußballer-Vergangenheit dürft das amerikanische Publikum zudem äußerst wenig interessieren, weshalb “Wiesemania“ vorerst ein rein deutsches Phänomen bleiben dürfte.

Artikel drucken