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Die Sendung trägt den Namen Zimmer Frei!, es gibt sie schon seit 1996. Den Gast Gunter Gabriel hat sie dabei noch nicht gesehen. Und dass jener Schlagerbarde, hellwache Singer-/Songwriter aus Westfalen, diesem Format also noch nie seinen Wohndampfer gezeigt und all uns Gebührenzahlern bis dato nicht vorgesungen hat, und auch kein einziges Mal seine zahlreichen Lebensweisheiten berichten durfte, das war doch schade. Bis jetzt. Ortstermin WDR, Kölns Randgebiete wir wollten die ganze Hand und bekamen am Ende einen Finger. Den mittleren. Und der Mittelfinger bleibt ein Zentralmotiv an diesem Donnerstag Abend, Studio BS 4, Köln-Bocklemünd. Das mit den Ansichten zu gesellschaftlichem Verfall wie persönlichem Innenleben ist anschaulich dokumentiert und hat Gunter Gabriel auch abseits der Musik eine Fangemeinde eingebracht. Sowieso aber ist Gabriel ein auskunftsfreudiger Mensch und dabei das Thema eigentlich egal. Das sind in der Tat nicht die schlechtesten Vorraussetzungen für ein Format, in dem sich streng investigative Fragen zur Vita und Faxen am Klavier so die Waage halten. Maffay, Cash, Gabriel Gabriel hat den Deutschen den Country gebracht, schön und gut, aber da darf ja nicht Schluss sein. Der Mann, der von seinem Boss "mehr Geld" einforderte, muss nun wieder in einer Wohngemeinschaft unterkommen. Die besteht aus einer gestandenen Journalistin und einem überdrehten Entertainer Schrägstrich Universalmusiker Schrägstich Einheizer. Zimmer Frei! ist Alltag vor Kameras, nur dass keiner abspülen muss. Wer im echten Leben Mitbewohner hat kommen und gehen sehen, kennt das: manchmal läuft es ganz gut, manchmal sind die Gespräche am Esstisch dröge. Dann etwa, wenn dem Gast Witziges einfach nicht zu entlocken ist. Das Konzept der Vorhang fällt, wir dürfen den Prominenten endlich privat erleben dreht sich dann gegen ebenjenen. Dann wünscht sich das Publikum den Vorhang wieder herbei, woraus in +60 Minuten aber natürlich nichts wird. An diesen graueren Aufnahmetagen muss Alsmann ans Klavier stürmen, entertainen und Witze machen um so wieder alles gerade zu rücken, für ein paar Minuten. Gunter Gabriel hat das alles nicht nötig, der Mann selbst ist geborener Unterhalter. Bierzelt oder öffentlich-rechtlicher Aufnahmesaal, Hausboot und Wohnzimmer, mittlerweile sogar das Internet: macht alles keinen Unterschied. Nur sein Arm steckt an diesem Abend in einer Schlinge, Sportunfall. Das ist dumm, weil Vollblutmusiker Gabriel also nicht musizieren kann, aber wohl umso mehr reden. Gabriel redet über seine diversen Ex-Ehefrauen, über seine Auffassungen zu Lebensführung, Jugend. Leben und Sterben. Ganz wichtig ist ihm dabei, dass es alle wissen: aufrecht immer, verbiegen lassen nimmer. Per Einspieler kommen Freunde aus Hamburger Hafenkneipen zu Wort, die dem Hausboot-Bewohner die nötige Street Credibility attestieren, ja immer noch, nach all den Jahren. Er sagt, was er denkt, das ist sein Markenzeichen. Da hat er in seinem Leben eben auch mal die Stimme erheben müssen gegen Sozialhilfeempfänger, die "zu viel Zeit haben": der Mittelfinger als ständiger Begleiter, als praktisches Accessoire. Heute aber bleibt der Sänger freundlich, und trotzdem ist es eigentlich ganz lustig mit ihm. Das, wo es Christine und Götz doch eigentlich immer darum geht, den Gast aus der sprichwörtlichen Reserve zu locken und ihn ein bisschen interessanter zu machen: Provokation zu Rosmarin-Kartoffeln. Recall den ganzen Abend Zimmer Frei! ist ein Phänomen. In einer warmen Ecke des Westdeutschen Rundfunks nahm das Format bereits Mitte der 90er Jahre den privaten Fernseh-Terror vorweg. Das kann man dem Moderatorenteam nicht unbedingt zu Gute halten, doch die Faktenlage ist da leider eindeutig: zum einen das betreute Wohnen unter Kameras, wie wir es von Big Brother kennen. Zum anderen darf sich Zimmer Frei! als erste moderne Casting-Show bezeichnen, denn genau darum geht es ja: sich zu präsentieren, jeden Blödsinn mitzumachen, eben Eindruck zu erzeugen, in heimelig-privatem Ambiente. Der Gast darf beweisen, ob er potenzielles Mitbewohnmaterial ist. Morgen werden wir uns wohl schon entscheiden, wir melden uns dann bei Dir. Inzwischen hat die Realität das spaßige Treiben im WDR eingeholt: wer sich schon mal gezwungen sah, ein paar WG-Castings im echten Berlin mitzumachen, sieht sich danach vielleicht weniger gezwungen, mit seiner Freundin Sonntag abends einzuschalten, 22.15 Uhr. Schön, dass im Fernsehen alles schneller geht. So transparent demokratisch, wie man es sich von sagen wir mal öffentlich-rechtlichen Entscheidungsgremien nur wünschen könnte, bestimmt das Publikum, ob der Wissensmoderator einziehen oder die Wetterfee morgen schon ihre Schmutzwäsche dazu tun darf. Karten heben, "Grün" drückt breite Zustimmung aus, "Rot" ruft Frau Westermann von den Rängen entgegen: "Schwierig, Christine, überleg Dir das noch mal mit diesem Bewerber. Herr Alsmann, sind Sie sicher, dass da die Chemie stimmt?" Aber das wirklich jemand abgelehnt wird, das kommt eigentlich nie vor. Toilette ohne Sichtschutz Vor der Sendung ist nach der Sendung. Vor allem aber gilt: Vor der Sendung ist oft aufschlussreicher als während der Sendung. So erzählt Christine Westermann gleich zu Beginn von Aufzeichnungen, die nicht laufen, von Gästen, die nicht wollen, und was denn dann zu tun sei. So wie im Fall Cherno Jobatey. Das sei nämlich eine Sendung gewesen, oh weh, der Gast kannte das Format nicht und war demzufolge nicht vorbereitet auf das, was kommen sollte. In aller Kürze: Es gab Buchstabensuppe für einen Legastheniker. Es ist ein Briefing, gerichtet an uns Zuschauer: Klatschen, ja viel und überhaupt immer, dem Gast bei doofen Spielen helfen und wenn nur durch Gelächter (das Eis brechen!) und um Gottes willen, nicht in die Kamera winken. Westermann leitet bald über zu Alsmann, den sie wie den eigentlichen Star der Sendung ankündigt. Kann man so sehen, denn viele graue Mäuse gehen ein und aus in diesem Studio, doch dieser Entertainer ist jeden Abend da. Er kommt also rein mit Schwung und das Publikum sieht die Show vor der Show. Er steigt in die Ränge herauf, er scherzt, spricht mit einem Gast. Hier endet der spontane Teil und Alsmann sagt die nächste Viertelstunde eine Salve auf, die aus Sicherheitsbestimmungen, Publikumsmotivation und Anekdoten vergangener (Studio-)Tage besteht. Das Tempo ist beachtlich, es ist gar nicht so leicht, da noch alles zu verstehen. Im Prinzip ist es die gleiche Ansprache wie seit 14 Jahren, anderweitige Bühnenengagements gar nicht eingerechnet. Professionell ist da noch untertrieben. Währenddessen steht Westermann etwas abseits, naja, sie hat sich so weit weg wie nur möglich platziert, dort hinten bei der Toilette. Die hoffentlich nicht funktionieren würde für den Fall, dass. Und wartet, bis Alsmann fertig ist mit lustig sein. Hinten geht sie auf und ab und einem ist, als könne man sie beobachten, wie sie stumm den Vortrag ihres Kollegen mitspricht. Doch es ist keine Zeit, der Moderatorin an den Lippen zu hängen, denn jetzt geht es los, es wird geklatscht und mit den Füßen gebollert. Wie bei Wetten Dass?!. Oder im Disney Club. Zimmer Frei! ist Mikrokosmos, ist monatelanges Kennen lernen im Schnelldurchgang. "Du, wir wollen heute Abend kochen", "Ich muss dir was erzählen", und auch "Lass uns heute doch mal albern sein!" Die Studiokulissen sind die Symbole, an denen sich also die Aufzeichnung entlang hangelt. Tratsch über der Spüle (wobei in der Sendung eigentlich nicht gekocht und nicht abgespült wird), intime Beichten im Schlafzimmer (fester Bestandteil), lockeres Beisammensein auf der Couch mit Musik. So drehen die Rituale ihre Runden, sie drehen sich im Kreis, schon abertausende Episoden lang, und es wird nie langweilig. Jeder Mensch ist anders, alles auch spontan, und außerdem steht hinter Wester-/Alsmann noch eine ganze Redaktion, die sich für zwischendurch diese kleinen Spiele ausdenkt. 70 Minuten sind vorbei, Wein (Gunter Gabriel ist doch trockener Alkoholiker!), Weib (tja, eins), Gesang (auf jeden Fall) und Markus Riewa (der ganz schlimm einen Betrunkenen spielt) später. Ja, das war doch mal eine gute Sendung, spricht das Team. Eine, die sich immer weiter hochschaukelte, so geht das eben an guten Abenden, wenn Gäste da sind vom Formate Gabriels. Spätestens jetzt zum Ende hin, nach intimen Gesprächen und souveräner Selbstdarstellung, wissen es alle: Dieser Mann bleibt senkrecht und wem es nicht passt, tja, sag' hallo zu meinem Mittelfinger. Das erste Mal Zimmer Frei! in 17 Jahren und vielleicht auch das letzte Mal. Also noch mal Danke, ja, war sehr interessant, und ab. Wir reichen die Hand, und bekommen einen Finger. Der Aufnahmeleiter hat noch alle Hände voll zu tun und überhaupt gerade jemanden auf der Leitung. Wir finden schon raus. Zimmer Frei! ist sonntags im WDR zu sehen, 22.15 Uhr
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