|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
![]() |
Aperitif Als ich ein Video von Sanne alias booksandquills auf YouTube gesehen habe, war ich von "Angerichtet" oder "Het diner", wie es im niederländischen Original heißt, angetan. Der Trailer des Films sah sehr gut aus. Da ich gerne das Buch lese, ehe ich den Film anschaue, war klar, dass ich den vermeintlichen Thriller zeitnah lesen musste, da "The Dinner" bald in die Kinos kommen würde. 320 Seiten wollten erobert werden. Doch nach den ersten Seiten war klar: Das Ziel war unerreichbar. Dieses Buch wollte ich nicht erobern. Zähfließend quälte ich mich durch den Aperitif. Auch die Vorspeise machte es nicht besser. Wie ist es möglich, sich 100 Seiten lang mit Essen und dessen Drapierung auf einem Teller zu beschäftigen? Ich dachte, es sei ein Thriller und kein Gourmet-Guide. Zwischen Vorspeise und Hauptgang musste ich eine Pause einlegen. Nicht, dass ich die ersten Seiten in einem durchgelesen hätte. Aber selbst so war dieser fehlgeleitete Väterratgeber für "Wie Sie es besser nicht machen" nicht mehr zu ertragen. Vorspeise Herman Koch: Angerichtet Eine Woche später habe ich das Buch mit einem Seufzer wieder in die Hand genommen. Schließlich hat Christine Westermann auf WDR 5 gesagt: "Es ist schlicht phänomenal, wie es dem Autor gelingt, den Leser auf eine völlig falsche Fährte zu locken. Die Geschichte ist hochspannend, genial, faszinierend. Und brillant geschrieben ist sie obendrein." Das Faszinierende hatte ich ja schon vor einer Woche gefunden. Faszinierend, wie sich jemand so viel mit Essen beschäftigen kann. Nun wollte ich das Hochspannende und Geniale finden. Vielleicht war ich ja wirklich auf einer falschen Fährte. Um es vorweg zu nehmen: Ich bin gescheitert.Verlag: Kiwi Erschienen: November 2011 Genre: Roman ISBN: 978-3-462-04347-1 Bindung: Brochiert Preis: 9,99 € Hauptgang Die beiden Ehepaare, die sich in diesem Nobelrestaurant passiv-aggressiv angezickt hatten, saßen immer noch da. Vielsagende Blicke werden getauscht, während die Speisen hoch gelobt werden. Paul denkt immer noch über den kleinen Finger des Kellners nach, der für seinen Geschmack zu nah an sein Essen kommt. Sein Bruder Serge, der vermeintlich nächste Ministerpräsident der Niederlande, schwafelt immer noch hoch gestochen daher. Seine Frau Babette ist bemüht, den Schein zu wahren und die Blagen der beiden Ehepaare Michel und Rick sind - obwohl gar nicht anwesend - unheimlich nervtötend. Nachspeise Genau diese beiden Jungs sind der Grund, warum sich die vier Erwachsenen zusammengesetzt haben. Sie haben etwas gemacht. Etwas, das auf den ersten 100 Seiten immer wieder angedeutet wird. Etwas, das wirklich furchtbar gewesen sein muss. Als es dann endlich so weit ist, dass Geheimnis zu lüften, hatte ich eigentlich schon gar keine Lust mehr, zu wissen, was die beiden getan hatten. Aber es wurde mir mit so einer lakonischen Süffisanz präsentiert, dass ich auf den nächsten 190 Seiten nur noch den Kopf schütteln konnte, warum dieses Buch noch nicht zu Ende ist. Was, wie schon erwähnt, wie ein schlechter Elternratgeber angefangen hat, übertraf sich immer wieder. Der Höhepunkt war, als Paul dem Leser gesteht, er könne seinen Jungen nicht mehr maßregeln. Er habe den angemessen Zeitpunkt verpasst. In meinem Kopf dazu: "Alter, ist dir klar, was dein Kind getan hat? Ich weiß ja nicht, was in deiner Kindheit falsch gelaufen ist, aber meine Eltern hätten mir mehr als die Hölle heiß gemacht. Egal, zu welchem Zeitpunkt." Und dann erfahre ich auf den nächsten Seiten, was nicht nur in seiner Kindheit, aber auch in seinem Erwachsenenleben falsch gelaufen ist. Ein klassisches Beispiel von "Be careful what you wish for." Dumm gelaufen! Vielleicht ist aber auch das das Geniale des Buches. Wie viele Wege es gibt, sich seiner Verantwortung als Elternteil zu entziehen... Ich weiß es nicht. Digestiv Wenn es also jemandem da draußen gibt, der sich durch ein literarisches Fünf-Gänge-Menü quälen möchte, meint einem "hochspannenden Familien-Thriller" über Essen, schlechtem Gewissen und noch schlechterer Kindererziehung etwas abgewinnen zu können, ist mehr als willkommen "Angerichtet" zu lesen. Aber ich habe Sie gewarnt. Und falls dann noch Bedarf besteht zu weiterer Quälerei, gibt es ja die Verfilmung.
|