Monika Lüke, deutsche Amnesty-Sektion
   
 

   
6500 Besucher feierten in der Lanxess-Arena die Eröffnung der Kölner Literaturmesse und ein halbes Jahrhundert unermüdlichen Einsatzes für die Menschenrechte. Roger Willemsen führte souverän und sichtlich emotional bewegt durch die dreistündige Gala. Mit Bezug auf den Krieg in Libyen erklärte er, 'Wir werden uns hier nicht darauf festlegen, wo mehr Menschenrechtsverletzungen geschehen. Ob in Schwarzafrika, im Iran oder in China - Menschen werden auch heute noch ohne faire Gerichtsverfahren festgehalten, gefoltert und getötet.' Jährlich werden millionen Menschen Opfer instrumentalisierter Staatsgewalt. Besonders Schriftsteller und Journalisten werden verfolgt, wenn sie öffentlich unbequeme Kritik an Diktatoren oder Potentaten üben. Ihnen wird dann z. B. eine "Schwächung des Nationalgefühls" und die "Verbreitung falscher oder übertriebener Informationen mit möglicherweise nachteiligen Folgen für die Moral des Landes" vorgeworfen.

Diese Urteile begründen die Verhaftung der Schriftstellerin Raghdah Sa'id Hassan in Syrien. Sie führte in ihrer Heimat für ihren Roman Recherchen zu den Menschenrechten, sowie zu Korruption und Demokratie. Weitere aktuelle und prominente Beispiele für unschuldig Inhaftierte sind der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo in China und der Ölmillionär Mikhail Khodorkovsky in Russland. Sie wurden den gegenwärtigen Machthabern der jeweiligen Länder durch ihren Eintritt für die Menschenrechte als Oppositionelle oder Dissidenten unbequem. Im Dezember 2009 bzw. im Oktober 2003 wurden sie mit obskuren Begründungen durch staatliche Gewalt weggesperrt, obwohl viele Menschen und Organisationen bis heute dagegen protestieren.

Die Worte für Verletzungen und Folter finden

Eine wichtige Aufgabe von Literatur kann für Opfer in der Gefangenschaft oder nach der Freilassung die eigene literarische Vergangenheitsbewältigung sein. Erfahrene Gewalt wird fiktional aufgearbeitet um so von den selbst erfahrenen Verletzungen Abstand gewinnen zu können. Zugleich möchten Autoren durch ihre Texte auch die Öffentlichkeit aufrütteln und sie am selbst erfahrenen Unrecht teilhaben lassen. Seit fünfzig Jahren engagiert sich Amnesty für inhaftierte Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Amnesty ist so zu einer der wichtigsten Institutionen weltweit geworden. Die nicht-staatliche Nonprofitorganisation wird durch 2,8 Millionen engagierte Ehrenamtler getragen. Eine der wenigen fest Angestellten ist Monika Lüke, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion. Im Gespräch mit Willemsen bekundet sie ihre Freude über die große Besucheranzahl anlässlich der Jubiläumsfeier.

Zahlreiche Prominente wie u. a. Herbert Grönemeyer, Katja Riemann oder Nina Hoss treten im Rahmen der Jubiläums- und Eröffnungsfeier ehrenamtlich auf. Sie lesen zu Beginn jeweils einen der 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor. Fakt ist, dass in vielen Ländern die einzelnen Artikel der Menschenrechte unbekannt sind und auch gesetzlich keine Wirkung haben. Später werden mit verteilten Rollen u. a. Gedichte der kanonisierten Lyrikerinnen Nelly Sachs oder Mascha Káleko vorgetragen, die Erfahrungen im Dritten Reich behandeln. Weitere Autoren, die in ihren Werken von Diktaturen erzählen und von denen Texte gelesen werden, sind Ossip Mandelstam und César Vallejo, aber auch der aus dem Iran exilierte Fadhil Al-Azzawi, der aus Algerien emigrierte Hamid Skif und die gebürtige Agentinierin María Cecilia Barbetta mit ihrem Erinnerungsbericht Weißt du noch? Eine Kindheit in Zeiten der Diktatur. Letztgenannte Autoren leben heute in Deutschland. Charlotte Roche las Ausschnitte der jüngst erschienenen Kurzgeschichte Cristina und ihre Attrappe von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Diese autobiographische Erfahrensbericht erzählt von Einschüchterungsversuchen, der Androhung von Gewalt und Mord, der Denunzierung, von Misshandlung und davon, wo mitunter von Verfolgten Botschaften an Amnesty hinterlegt werden.

Die Menge an Autorennamen und Missständen in verschiedenen Ländern, auch innerhalb Europas, verlangte dem Zuschauer die Bereitschaft zur Einfühlung in die jeweiligen Schicksale und Umstände ab. Oft blieben der Titel, der Entstehungshintergrund und die zeitliche Einordnung vorgetragener Texte unklar. Auf der Leinwand im Bühnenzentrum kurzzeitig eingeblendete Autorendaten boten nur grobe Hintergrundinformationen. In bedrückender Intensität wurde der Gefasstheit von Opfern und dem Erschütternden des Ausgeliefertseins Worte gegeben.

Schmunzeln über offensichtliche Willkür machthabender Peiniger

Eine unterschiedliche Gelagertheit der Texte vermittelt sich in humorvollen Darstellungen. So konnte man mitunter auch schmunzeln über die Authentizität der offensichtlichen Willkür von machthabenden Peinigern. In einer Nacherzählung tatsächlicher Begebenheiten wird so z. B. ein Regisseur für einen Spion gehalten, nur weil er als Regisseur die Nouvelle Vague und Jean-Luc Godard nicht kennt. Er kann jedoch zahlreiche amerikanischen Regisseure und Schauspieler aufzählen. Das ist zum Schmunzeln wie bei einer Gangster-Klamotte und gleichzeitig ist man doch tief berührt, weil der Autor seine eigene lebensbedrohliche Folter beschreibt. Benno Führmann oder Ulrich Matthes erheitern durch ihren Vortrag aus diesen, obskur erscheinenden Berichten.

Peter Pauls, Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, trat als Sponsor der Gala auf und berichtete im Gespräch mit Willemsen über eigene Auslandsaufenthalte im Sudan und einhergehende Schwerpunktberichterstattungen im KSTA. Auf der Leinwand eingeblendete Kurzdokumentationen des WDR-Magazins West.Art, einem weiteren Sponsor der Gala, zeigen Menschenrechtsaktivisten wie Sihem Bensedrine bei ihrer Arbeit in Tunesien. Sie wurde als regierungskritische Menschenrechtsverteidigerin politisch inhaftiert und gefoltert. Amnesty setzte sich mit Eilaktionen für die Freilassung der Chefredakteurin der in Tunesien verbotenen Onlinezeitung "Kalima" ein. Musikalisches Highlight des insgesamt bestürzenden, bewegenden und faszinierenden Abends war die Kölner Band Klee mit ihren melancholisch anmutenden, entspannten Pop-Kompositionen "Die Stadt", "2 Fragen" und "Für alle, die".

Nach der Veranstaltung konnte man sich aktiv an Unterschriftensammlungen von Amnesty beteiligen, sich in ihren Newsletter eintragen lassen, oder mit Mitarbeitern von Amnesty in ein Gespräch kommen.

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