Den ersten Teil des Selbstversuchs gibt es hier: Nachts unterm Museum

Heiko kann gut erklären, drückt sich gepflegt aus. Er ist sympathisch, liest viel. "Ohne die Bücher würden viele mich gar nicht erkennen", sagt er. Alle zwei Tage holt er sich einen neuen Schmöker dem Bücherschrank in Poppelsdorf, manchmal fährt er auch nach Bad Godesberg, dort gibt es die größere Bücherstube. Fünfhundert Seiten ist das Buch dick, Der Reinfall, steht in Lettern darauf. Zwar hat er auch Fernsehen, sagt er, deutet auf die Bildschirme am Haus der Geschichte. "Aber da läuft immer nur dasselbe." Wir stehen auf, gehen ein bisschen im Kreis. Auch Heiko schlägt den Schlafsack beiseite, erhebt sich. Wir unterhalten uns einige Zeit.

Langsam wird Heiko unruhig. Er braucht Heroin, täglich zwei Schüsse, für 20 Euro, seit 20 Jahren mit Unterbrechung. Nicht wegen des Kicks, den gibt es schon lange nicht mehr. "Sonst funktioniere ich nicht", sagt er, er bekommt sonst furchtbare Entzugserscheinungen. Kurz vor zehn bricht Heiko auf, zum Loch. Etwas in seinem Leben ist aus der Bahn geraten. Heiko arbeitete, war sechs Jahre bei einer bekannten "Wach und Schließ"-Gesellschaft, brachte es sogar zum Objektleiter. Dort verdiente er gut. Auch Krankenwagen ist er schon gefahren. Solange Geld da war, war das mit den Betäubungsmitteln kein Problem.



2001 ging es bergab, es gab Knast. "Drehtüreffekt" nennt er das im Gespräch. Raus und Rein. Auf 1000 Knackis kämen drei Sozialarbeiter. 2004 ging der Düsseldorfer nach Bonn, lernte eine Frau kennen, machte einen Entzug, heiratete. Beide wohnten zusammen, eine günstige Sozialwohnung, dann kam die Trennung 2010. Es ist sein zweiter Winter in der U-Bahn. Zuletzt war er wegen Schwarzfahren hinter Gittern. Wer kein Geld hat, muss laufen oder fährt eben ohne Ticket. Jetzt aber sei alles erledigt, meint Heiko.

Auch warme Wände hatte er nach dem Entzug, doch die Wohnungen an der Dietrichstraße und am Nippenkreuz und waren überteuert. Viel Miete für wenig Quadratmeter und Qualität, geheizt wurde mit Kohle. Dazu ein Ein-Euro-Job nach dem Nächsten, viel Arbeit für kein Geld. Die Mieter würden das Maximum für Bruchbuden verlangen, denn das Amt zahlt es. Wenn man im Kellerloch der Gesellschaft haust, ist der erste Klimmzug ins Erdgeschoss der schwerste.

Es ist schwer, sich umzustellen. "Hier hat man seine Ruhe", sagte Heiko. Unterm Museum verschwindet auch nichts, hier muss man morgens nicht sofort gehen, anders als in Übergangsheimen oder den Notunterkünften. Hier wird nichts geklaut. Der Untergrund, sein Schlafzimmer, wird kameraüberwacht.

Gegen 23 Uhr ist Heiko wieder da, gelöster. Das Heroin helfe ihm auch gegen die Kälte, Schmerzen und Krankheiten. Die typischen Leiden wie Hepatitis-C hat er nicht. "Wenn du schon so einen Scheiß machst, kannst du wenigstens auf dich aufpassen", sagt er, meint: Immer sauberes Besteck nutzen, Hände waschen, sich selbst rein halten. Die Öffnungszeiten des Druckraumes spult er aus dem Kopf ab. Der Atem kondensiert bei jedem Wort. Heiko bietet uns eine Decke an.



Wir unterhalten uns, dann verstummt das Gespräch. Es ist 23.30 Uhr. Heiko liest, raucht jetzt mehr als vorher. Immer wieder trotten Menschen vorbei, rennen zur Bahn. Ich decke mich zu, es zieht, immer bevor eine Bahn einfährt, scheint ein Lufthauch auch hier oben zu sein. Es ist kalt, bleibt kalt. Alle Glieder tun weh. Die Ebene ist hell erleuchtet, ganz verlöschen die Lichter nie. Warum Heiko nicht unten schläft, am Bahnsteig selbst, wo es einige Grad wärmer ist? "Die Züge stören. Und am nächsten Tag sind die Hände durch den Ruß schwarz, den die Bahn mitbringt."

Ich liege wach, mein Kollege ruht etwas. Bei jedem Geräusch schrecke ich hoch, die Rolltreppe, vorbeihastende Gäste. Heikos Umblättern im Reinfall. Rauch und frostige Kälte ziehen in den Schlafsack, ich ziehe die Kapuze über das Gesicht, das hilft. Gegen ein Uhr dämmere ich vor mich hin, unruhig. Es geht, aber es ist kein erholsamer Schlaf. Dann setzt ein Kratzen ein, das letzte Erlebnis an diesem Abend. Ein SWB-Putzmann kehrt aus, schiebt Blätter und den Müll der Passanten vor sich her. Heiko hatte uns vorgewarnt: "Die machen unser Wohnzimmer sauber."

Lange mache man das nicht, sagt der 40-Jährige: "Sonst wird man nicht älter als 45." Später fügt er hinzu: "Ich könnte anders, wenn ich wollte". In Bonn gäbe es viele Möglichkeiten und Angebote, für einen Entzug, einen Neustart. Nur einfacher wird es danach nicht. Heiko schaut uns an, redet über Mieten, Hartz IV, harte Arbeit ohne Anerkennung, aneinandergereihte "Ein-Euro-Jobs", Perspektivlosigkeit. Der Obdachlose redet, wiederholt sich, und immer wieder fällt der eine Satz: "Die Wohnungssituation in Bonn ist so schlecht."

Den ersten Teil des Selbstversuchs gibt es hier: Nachts unterm Museum

Artikel drucken