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Das erst kürzlich eröffnete Bürgerbüro der Bonner Piratenpartei bleibt an diesem sonnigen Freitag leer: Zwei Wochen vor den NRW-Wahlen sind die Piraten mit ihrem Infostand auf den Münsterplatz umgezogen, um dort die Wähler zu überzeugen. Über dem Stand flattert eine orange Flagge, die Mitglieder verteilen Aufkleber und bunte Ansteck-Buttons an Kinder. Ein Vater witzelt: "Den Piraten-Sticker kannst du beim Papa hinten aufs Auto kleben, dann freut der sich!" So ganz ernst genommen wird diese neue Partei oft noch nicht. "Ihr habt doch gar kein Programm", ruft ein älterer Herr im Vorbeigehen. "Da liegt es doch", sagt Bernhard Smolarz und deutet auf das Infomaterial auf dem Tisch. Der 41-Jährige in Jeans und Turnschuhen ist einer der Piraten, die von Anfang an dabei waren. Bei den Landtagswahlen in NRW kandidiert der studierte Informatiker für den Wahlkreis Bonn I, zu dem unter anderem die Kommunalbezirke Bonn-Innenstadt und Tannenbusch gehören. "Die Kernthemen sind im Grunde geblieben", blickt Smolarz auf die Anfänge der Partei im Jahr 2006 zurück. Dazu zählt er vor allem den Fokus der Partei auf die persönlichen Freiheit des Einzelnen und die Stärkung seiner Bürgerrechte – bezogen auch auf aktuelle, das Internet betreffende Fragen wie die Vorratsdatenspeicherung. Den Vorwurf, den Piraten fehle es derzeit an entscheidenden Themen, relativiert Smolarz: "Bestimmt fehlen noch Aspekte im Parteiprogramm", betont er. Fragen bezüglich neuer Themen regle die Partei jedoch aus ihren Kernthemen heraus. Wichtig sei dabei vor allem die stärkere Bürgerbeteiligung. "Das Programm wird von den Mitgliedern ausgearbeitet", sagt der Bonner Kandidat: "Sie sind es letztendlich, die Politik machen." Wahlerfolge und Schwarmintelligenz Jeder kann mitmachen, es gibt direkte Rückkopplungsmöglichkeiten zwischen Partei und Basis, darin liegt der Unterschied der Piraten zu anderen Parteien. Auch Martin Knoop, der seit zwei Monaten bei den Piraten ist, hebt die besonderen Partizipationsmöglichkeiten für Mitglieder der Piratenpartei hervor. "Ich war enttäuscht von der Art, wie Demokratie bei den großen Parteien gelaufen ist", erklärt er. Knoop war 26 Jahre lang Mitglied in der SPD, bevor er zu den Piraten kam: "Wir nutzen die Möglichkeiten der neuen Technik. Wir wollen die Leute überzeugen, dass eine andere Art von Demokratie möglich ist." Vergleichbare Möglichkeiten für die Mitglieder seien bei den anderen Parteien gar nicht mehr gegeben, kritisiert Knoop: "Alle 5 Jahre wählen reicht nicht." Die neue Art der Piraten, Demokratie umzusetzen, scheint bei den Wählern Anklang zu finden: Gegenwärtig stehen ihre Chancen auf einen Einzug in den NRW-Landtag gut. 8 Prozent verheißt ihnen die aktuelle Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom 4. Mai. Damit werden sie auch im Wahlkreis Bonn I die 2,7 Prozent Zweitstimmen vom letzten Mal übertreffen können. Die Skepsis bleibt derweil bei Vielen groß. Am Infostand auf dem Münsterplatz stellt ein aufgebracht wirkender älterer Herr dem Bonner Kandidaten Smolarz Allgemeinwissensfragen. Als der Pirat das genaue Datum der Gründung der BRD nicht zu sagen weiß, entbrennt eine Diskussion. "Was würde uns das bei den aktuellen Problemen helfen?", kontert Smolarz. Ähnliche Vorwürfe bekommen die Bonner Piraten an diesem Nachmittag noch öfter zu hören. Nicht selten wirken die Mitglieder der Partei in der Öffentlichkeit laienhaft. Oft gehen sie sogar offen mit ihrer Ahnungslosigkeit um. Ein Verhalten, das viele irritiert. "Wir bauen auf den kollektiven gesunden Menschenverstand, die Schwarmintelligenz der Vielen", sagt der Pirat Philipp Hach, der seit einem Monat Mitglied bei den Piraten ist. Bei den verschiedenen Themen hielten sich jene, die weniger qualifiziert seien, in der Regel zurück. Wie politische Partizipation in der Piratenpartei konkret umgesetzt wird, zeigt sich an Projekten wie "Liquid Feedback". Dort können alle Parteimitglieder Anträge stellen, welche anschließend von der Internetgemeinde diskutiert und verbessert werden können. Bei ausreichender Unterstützung durch andere Nutzer gelangt ein Antrag schließlich zur Abstimmung. Dabei kann man jederzeit entscheiden, ob man selber ein Votum abgibt oder die eigene Stimme an ein anderes Parteimitglied abtritt. Diesen fließenden Übergang zwischen direkter und indirekter Demokratie streben die Piraten unter dem Schlagwort "Liquid Democracy" als Langzeitziel auch für die Gesamtgesellschaft an. Mit Anwendungen wie "Liquid Feedback" ist das Internet hierbei das zentrale Medium. "Man muss sich ständig verändern können", glaubt Hach. Allzu hierarchische Strukturen in der Partei sieht er dabei als ebenso problematisch an, wie blockpolitisches Denken: "Politiker müssen auch Anträge anderer Parteien unterstützen können, wenn diese gut sind." Piraten und Rentner - ein Bonner Bündnis mit Zukunft? Größtmögliche Partizipation, möglichst uneingeschränkte Transparenz: Die Piraten sind an die Öffentlichkeit getreten mit einer neuen Art, Politik zu machen. Und treffen damit auf eine große positive Resonanz. Demonstrieren sie uns einen Ausweg aus der der heutigen Zeit oft attestierten Politikverdrossenheit? Noch profitieren sie mehr vom Misserfolg der etablierten Parteien. "Ich habe keine Alternative", beklagt ein Mann, der an den Infostand gekommen ist, um Mitglied bei den Piraten zu werden: "Lieber gebe ich dieser Partei die Stimme, bevor ich überhaupt nicht wähle." Die Piratenpartei sei vom Konzept her "total korrekt". In der Anfangszeit haben die Piraten mit ihren Themen vor allem junge Menschen angesprochen. Doch nur eine Partei der Jungen sind sie längst nicht mehr. In Bonn arbeitet die Piratenpartei mit der Rentnerpartei zusammen, bei der Landtagswahl am 13. Mai tritt letztere zugunsten der Piraten nicht an. Ein Akt, dessen Bedeutung mehr symbolisch, als taktisch ist. Denn bei der Landtagswahl 2010 erhielt die Rentnerpartei in beiden Bonner Wahlkreisen nur 320 von 139.598 gültigen Stimmen. Aber: Wenn sich die Piratenpartei dauerhaft als politische Alternative etablieren will, braucht sie auch Wähler außerhalb der ursprünglichen Internet-Gemeinde. Entwickelt sie sich so mehr und mehr in Richtung einer Volkspartei? Steigende Mitgliederzahlen und zunehmende Wahlerfolge verändern das Gesicht der Partei im Moment beständig. Auch am Bonner Infostand sind viele der Mitglieder erst wenige Monate dabei. Die Piraten besitzen ein Programm, aber alle Politikfelder bespielen sie damit noch nicht. Diese Partei wird ihre Standpunkte bei vielen Themen erst noch ausloten müssen. Wofür die Piraten in einigen Jahren stehen werden, bleibt abzuwarten. Auf dem Münsterplatz ruft eine Passantin den Männern am Infostand im Vorbeigehen zu: "Irgendwann schlafft ihr euch genauso ab, wie die Grünen!"
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