Die Intergruppe für LBST-Rechte ist eine von 27 Arbeitsgruppen des Europäischen Parlaments. Oberste Priorität der Intergruppe haben die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen Menschen, insbesondere ihre Bewegungsfreiheit und Antidiskriminierung innerhalb der EU und auf Länderebene. Neben der Überwachung von Entscheidungen der Kommission soll sichergestellt werden, dass bei außenpolitischen Verhandlungen der EU beim Thema Menschenrechte stets auch der LBST-Aspekt berücksichtigt wird. 

Den ungekürzten Essay findet ihr im European Stagiaire Journal auf S. 24- 25.


In der Intergruppe sitzen derzeit 118 Abgeordneten aus 20 EU-Mitgliedsstaaten und den politischen Hauptgruppen, mit Ausnahme der konservativeren Parteien European Conservatives and Reformists (ECR) und Europe of Freedom and Democracy (EFD). Geleitet wird sie von sechs Präsidenten unter Führung des Briten Michael Cashman (S & D) und der Österreicherin Ulrike Lunacek (Greens).

Eine der wichtigsten Debatten unserer Zeit

Bruno Selun ist der Assistent von Präsident Michael Cashman. Er sieht den Zeitpunkt gekommen, die Rechte von LBST-Menschen in ganz Europa stärker durchzusetzen: „Nachdem Fragen der Gleichberechtigung abgehandelt wurden, beschäftigt die Gesellschaft nun das Thema sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Es ist vielleicht eine der bestimmendsten Debatten unserer Zeit.“ Gerade auch in den Beitrittsverhandlungen mit neuen Mitgliedsländern wie der Türkei wird die Wichtigkeit hervorgehoben.
 
Wie sieht die Arbeit der Intergruppe aus? „In der Regel organisieren wir vier bis fünf Konferenzen oder Seminare im Jahr." Ein Teil der Arbeit der Intergruppe besteht in einer nicht klar zu definierenden Zusammenarbeit mit NGOs: „Wir informieren NGOs über aktuelle Geschehnisse in der EU. Wir arbeiten mit Amnesty International in Einzelfällen zusammen, etwa wenn es um die gefahrlose Durchführung von LBST-Paraden geht. Oft kooperieren wir auch mit ILGA Europe, dem europäischen Zweig der internationalen Vereinigung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle.“
 
Diskriminierung in der Ehegesetzgebung
 
Auf einem Seminar am 3. Mai diskutierten Gremien das übergreifende Thema von gleichgeschlechtlichen Familien als einen Zuständigkeitsbereich der EU. Gefragt wurde, wie die EU die gegenwärtige Situation von gleichgeschlechtlichen Familien gerade mit Blick auf sich abzeichnende politische Restriktionen verbessern kann. Nur fünf EU-Mitgliedsländer ermöglichen eine Heirat: Portugal, Schweden, Belgien, die Niederlande und Spanien. In Ländern wie Rumänien, Bulgarien, den baltischen Staaten, Slovakien, der Tschechischen Republik, Zypern, Malta und Italien gibt es kein Rechte auf eine eingetragene Lebenspartnerschaft oder Heirat.
Allerdings hat nach dem Vertrag für die Europäische Union die EU nicht das Recht, Einfluss auf die Ehegesetze der Mitgliedsstaaten zu nehmen. Die Ehegesetzgebungen der einzelnen Länder sind nach Ansicht der Intergruppe diskriminierend, weil diese oft auf der sexuellen Orientierung basieren.
 
Diskriminierung von Kindern
 
Adoption ist auch kein Zuständigkeitsbereich der EU. So behindert die Nichtanerkennung adoptierter Kinder die Bewegungsfreiheit gleichgeschlechtlicher Familien in der EU. Wurden etwa Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren adoptiert, gibt es beim Umzug in ein anderes EU-Land ohne Adoptionsrecht oder Eherechte für homosexuelle Paare Probleme. Ein Elternteil wird plötzlich nicht mehr anerkannt, die Gültigkeit der Ehe bezweifelt. Es kommt zu Ungewissheiten beim Schutz der Eigentumsrechte und der staatlichen Förderung des Familienunterhalts. Kinder gleichgeschlechtlicher und heterosexueller Paare haben nicht die gleichen Rechte. Daher fordert die Intergruppe Rechtssicherheit und sensible Verfassungsrechte in den Bereichen Ehe und Adoption und eine Gleichbehandlung von Angehörigen der EU. 
 
Folterungen und Ermordungen
 
Zudem versucht die Intergruppe, Menschen vor der Abschiebung in ihr Heimatland zu schützen, wenn ihnen dort wegen ihrer sexuelle Orientierung Haft, Folter oder Mord droht. Leider kann sich die Intergruppe nur sehr schweren Fällen annehmen. Selun: „Parlamentsabgeordnete können selber entscheiden, ob sie zukunftsorientiert und fair wählen wollen. Vielleicht erreichen wir irgendwann an einem bestimmten Punkt Gleichberechtigung. Aber es gibt viel gesellschaftlichen Widerstand, besonders religiösen Widerstand.“ 
 


Hörtipp zum Thema: Am 8. Dezember 2011 sendet das Bonner Campus Radio 96,8 abends ein Feature von Christian Esser zum Thema Toleranz. Neben einem Portrait des Einsatzes von lokalen Projekten für mehr rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz von LBSTs werden auch internationale Projekte u. a. im Nahen Osten und Nordafrika vorgestellt. Wir dürfen gespannt sein. 2010 erhielt er zusammen mit Eva Adelseck und Lisa Mattil für das Radiofeature „Tod und Trauer in unserer Gesellschaft“ den Bürgermedienpreis der Landesanstalt für Medien in NRW.

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