„Suche jeden Schnipsel über...“ – Waschechte Kinder der Achtziger kennen diese Zeile noch aus dem Flohmarkt des YPS-Heftes. Zwischen „Pif und Herkules“-Comics und Gimmick gab es eben auch diese zweiseitige Kontaktbörse, in der man Sachen kaufen und verkaufen oder auch Brieffreunde suchen konnte. Diese visionäre Mischung aus eBay und Facebook wurde oft von Jugendlichen genutzt, um sich als Hardcore-Musik-Fan zu outen. Suche jeden Schnipsel, den ich kriegen kann: Poster, Zeitungsartikel, Aufkleber – früh übt sich, wer auch noch als Erwachsener fanatisch seinem Idol hinterherrennen will.

Man muss nun wahrlich kein Kind der Achtziger sein, um Falco zu kennen oder gut zu finden. „Der Kommissar“, „Jeannie“, „Rock Me Amadeus“. Der österreichische Pop-Star schaffte es, zur Legende zu werden – in einem Jahrzehnt, in dem jeder sich so auffällig wie möglich gab. Dementsprechend viel wurde bereits über Falco gesagt und gezeigt. Sowohl vor als auch nach seinem Tod im Jahr 1998. Was hat Regisseur Rudi Dolezal, der Falcos Karriere vom ersten Videoclip bis zur x-ten posthumen Betrachtung begleitet hat, also Neues entdeckt?

Genauso wichtig wie Musik und Auftreten waren natürlich auch Falcos Texte, gewitzt zwischen den Sprachen springend und stets in charmentem Wiener Dialekt getränkt. Was, wenn man also Falco als Poeten, als Mann des geschriebenen Wortes neu interpretiert? Was, wenn offizielle Vertreter der – oho! – Literaturwissenschaft diese Sicht bestätigen? Tatsächlich könnte hier ein interessanter neue Blickwinkel entstehen. Ob man den aber in einer Pop-Dokumentation so gut darstellen kann, ist eher fraglich. Dolezal wählt auf jeden Fall den handelsüblichen Dokumentations-Stil, den er und seine Berufsgenossen schon oft bei Musikdokumentationen angewendet haben. Im Kern ist „Falco – Der Poet“ auch eine Produktion des ORF. Der Film hält sich dementsprechend an die stilistischen Erwartungen, die das Publikum heutzutage an die TV-Darstellung von Pop-Musik hat.

Autorität im Clip-Mix

Falco – Der Poet, A 2010
Verleih: Sony Music
Genre: Musik-Dokumentation
Filmlaufzeit: 125 Minuten
Regie: Rudi Dolezal
DVD-Start: 16.07.2010
Einer der befragten Literatur-Experten wirft in seinen Interview-Schnipseln eine entscheidende Frage auf. Kann man Kunst überhaupt noch nach verstaubten klassischen Definitionen abgrenzen? Hat nicht schon längst das Wort die Seite und das Bild den Rahmen verlassen? Die Frage, die sich daraus ergibt, ist folgende: Was bringt es, Falco zum Poeten, zum Literaten zu erklären? Können die Schriftgelehrten ihm posthum eine weitere Krone aufs Haupt setzen, ihm einen besseren Platz in den Geschichtsbüchern geben? Müßte man dafür nicht davon ausgehen, dass Literatur eben irgendwie besser ist als reine Popmusik? Haben Literatur- und Sprachwissenschaftler eine besondere Autorität in einer gehobenen Kulturschicht? Falls nicht, wird die Fragestellung des Films schnell hinfällig. Falls doch, müsste man den Film aber bitte auch so trocken und „langweilig“ umsetzen, wie nur eine streng wissenschaftliche Autorität es kann.

Hier werden die Herrn Professoren, Doktoren und Magister jedoch zusammen mit verschiedenen literarischen Größen in einen großen Clip-Mix geworfen. Interpretationen werden mit dem Vermerk „XY erklärt den Text des Songs wissenschaftlich“ versehen und in ausführliche Ausschnitte des korrespondierenden Musikvideos eingebettet. Die Literaten als Element des Videoclips – da wird die traditionelle Sicht auf Kunst ganz schnell ausgehebelt. Regisseur Dolezal plündert derweil sein umfangreiches Archiv und schneidet alles zusammen, was er finden kann. Wenn der Name Arnold Schwarzenegger fällt, hat man von dem bestimmt auch noch irgendein Interview, in dem ein Satz zu Falco fiel. Suche jeden Schnipsel, biete fertige Dokumentation.

Die Frage nach Falcos Qualitäten als Poet lässt sich auf diese Weise schon nach der Hälfte der Laufzeit ungenügend klären. Was macht man dann? Man wählt artverwandte Blickweisen, die irgendwas mit „Kunst“ zu tun haben. Falco als Kunstfigur, deren bürgerliche Identität Hans Hölzel unwichtiger „Schmäh“ (Wienerisch für Unsinn) war; Falco als Poet seiner Heimatstadt; Falco als Mann, der seine Gefühle künstlerisch verarbeiten musste. Das Unterkapitel „Falco und die Musen“ bietet dabei scheinbar so wenig, dass man es beim unaufmerksamen Sehen direkt komplett verpassen kann. Viel wichtiger ist sowieso stets der Übergang in minutenlange „Spezialversionen“ der Videoclips. Wieder von Dolezal zusammengestellt.

Wenn man Falco gut findet, findet man ihn gut

Was bleibt als Fazit? Wenn man Falco gut findet, findet man ihn gut. Egal, welchen Titel und welchen Bildungsstand man hat. Und mit etwas Glück wird nur die Vorstellung der perfekten, irgendwie abgedrehten Kunstfigur überdauern. Falcos Nineties-Techno-Entgleisungen („Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“, „Naked“) werden zwar eingespielt; es findet sich aber nur eine Stimme, die zugibt, dass der Stern des Superstars schon relativ früh seinen Sinkflug antrat. Der Untertitel des Films stellt passend dazu die Frage, ob "Falco für die Ewigkeit" bleibt - und natürlich bleibt er das. Darauf muss man aber auch nicht ewig herumreiten. Vielleicht lieber mal still und wissend genießen.

Der Fan, der alles haben muss, wo „Falco“ drauf steht, muss natürlich auch „Falco – Der Poet“ haben. Normalsterbliche bekommen dagegen nur eine Doku in durchschnittlicher Fernseh-Qualität. Beim Durchblättern der 3Sat-Sparte in der Programmzeitschrift klänge sie gar nicht so uninteressant, verpassen würde man sie trotzdem. Vielleicht hat’s ja jemand auf VHS aufgenommen – direkt mal im YPS-Flohmarkt schauen...

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