Schily
   
 

Ströbele
   
 

Mahler
   
Im Gerichtssaal von Berlin-Moabit sitzt Horst Mahler, der bekannte APO-Anwalt. Ihm gegenüber seine Kollegen Hans-Christian Ströbele und Otto Schily. Ein Gruppenbild aus dem Jahr 1972. Auffällig dabei ist nur, dass einer der drei Anwälte des drei Jahre zuvor gegründeten sozialistischen Anwaltskollektivs nun die Verteidigungs- gegen die Anklagebank eingetauscht hat. Mahler wird vorgeworfen, er sei an der Befreiung des RAF-Terroristen Andreas Baader beteiligt gewesen; Ströbele und Schily verteidigen ihn.

Diese erste Filmszene deutet bereits das Auseinanderdriften der Biografien der drei RAF-Anwälte an, das der Dokumentarfilm "Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte" näher beleuchtet. Im Mittelpunkt stehen die politischen Werdegänge von Mahler, Schily und Ströbele. Gemeinsam ist ihnen der Ausgangspunkt, doch die Wege der drei Männer trennen und entfernen sich immer weiter voneinander.

Während Horst Mahler in den Jahren seines Gefängnisaufenthaltes einen Gesinnungswandel durchmachte und inzwischen als Holocaustleugner zur rechten Szene zählt, war Schily zunächst Gründungsmitglied der Grünen, wechselte dann aber zur SPD. Dort machte er Karriere und erwarb sich mit seiner Sicherheitspolitik als Innenminister den Ruf eines Hardliners. Der Pazifist Hans-Christian Ströbele trat in den achtziger Jahren ebenfalls den Grünen bei, blieb ihnen allerdings treu und vertritt seine Partei bis heute als Bundestagsabgeordneter. Der Film dokumentiert die zunehmende Rivalität, vielleicht sogar Feindschaft der früheren Verbündeten. So sieht man das Scheitern Schilys, der sich im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens für ein Verbot der rechtsextremen Partei einsetzt, die wiederum von Mahler vertreten und erfolgreich verteidigt wird. Ebenso sichtbar werden die divergierenden Positionen Ströbeles und Schilys hinsichtlich der auf den 11. September 2001 folgenden Sicherheitspolitik und der Bundeswehreinsätze im Ausland.

Durch den Wechsel von archiviertem Material und Versatzstücken der für den Film geführten Interviews mit den drei ehemaligen RAF-Verteidigern wird eine Brücke geschlagen, zwischen der Vergangenheit und dem zunächst gemeinsam geführten Kampf gegen den damals als korrupt angesehenen deutschen Rechtsstaat und der Gegenwart, die zeigt, was aus den linken APO-Sympathisanten heute geworden ist. Dabei decken die wirksam eingesetzten Archivaufnahmen Widersprüche in den Aussagen der Interviewten auf und machen gleichzeitig die politische Wandlung der drei Juristen für den Zuschauer sichtbar. Besonders spannend ist dabei, dass alle drei Interviewten davon überzeugt sind, sich treu geblieben zu sein. Den Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen kann jeder Zuschauer für sich selbst bestimmen. Aussagekräftig sind die "Kindheitserinnerungen" der drei Männer, die immer auch aufdecken, wie der Erzählende wahrgenommen werden möchte.

Während Ströbele seinen sich früh entwickelnden Gerechtigkeitssinn betont, erzählt Schily lieber von seiner Musikbegeisterung. Und als Mahler, sich seiner Provokation sichtbar bewusst, mit einem süffisanten Lächeln von seinen kindlichen Hitler-Imitationen vor dem Spiegel berichtet, läuft es einem kalt den Rücken herunter. Der besondere Wert dieses Dokumentarfilms liegt darin, dass er den Zuschauer nicht von einer bestimmten Sicht der Dinge zu überzeugen versucht, sondern ihm eine Fülle an Material an die Hand gibt, alle Beteiligten zu Wort kommen lässt und so dazu auffordert, sich selbst ein Bild zu machen. Darin unterscheidet sich Birgit Scholz‘ Dokumentarfilm von der Eichinger-Produktion "Der Baader-Meinhof-Komplex" aus dem vergangenen Jahr, der trotz aller Bemühungen, sich kritisch mit dem RAF-Terrorismus auseinanderzusetzen, eine gewisse Beeinflussung des Zuschauers durch die Besetzung der RAF-Terroristen durch ein All-Star-Cast nicht verhindern konnte.
Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte
Doku, (D 2009)

Verleih: Real Fiction
Buch und Regie: Birgit Scholz
Filmlaufzeit: 92 Min.
Mit Otto Schily, Hans-Christian Ströbele
und Horst Mahler
Kinostart: 19.11.2009


Neben dem gelungenen Vorher-Nachher-Effekt, den der Film erzeugt, und der die Wandelbarkeit politischer Ausrichtungen vor Augen führt, eignet er sich auch zur Wiederauffrischung politischen Hintergrundwissens, da der Film einen historischen Querschnitt der Politikgeschichte Deutschlands von den sechziger Jahren bis heute bietet. So laufen noch einmal Ausschnitte der deutschen Nachkriegsgeschichte in Bildern am Zuschauer vorbei – die Verlagerung des studentischen Protests von der Vietnamkriegskritik hin zur Friedensbewegung, der triumphale Einzug der Grünen in den Bundestag, die CDU-Spendenaffäre und das NPD-Verbotsverfahren.

Mit "Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte" ist Birgit Scholz ein ebenso brisanter wie sehenswerter Dokumentarfilm gelungen, der gleichermaßen Anlass zu Diskussion und Reflexion bietet.


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