Campus-Web Bewertung: 2,5/5
   
Das ist ein Lehrer, wie man ihn sich erträumt! In einem verbeulten Auto braust Rainer Wenger (Jürgen Vogel) zum Arbeitsplatz, die Scheiben heruntergelassen, Musik der Ramones mitgrölend. Er stürmt das Lehrerzimmer mit Lederjacke – Typ: cooler Draufgänger. Zu dumm, dass ihm ausgerechnet der spießigste Kollege das Thema „Anarchie“ für die Projektwoche wegschnappt und er nun mit „Autokratie“ vorlieb nehmen muss.

Gelangweilt stehen sich Lehrer und Schüler am ersten Projekttag gegenüber. Diktatur, Nationalsozialismus – alles schon abgegrast und zigmal durchgekaut. „Nazi-Deutschland war scheiße. Langsam habe ich es auch kapiert“, murrt ein Schüler. Und da zündet etwas in Webers Gehirn: „Ihr seid also der Meinung, dass `ne Diktatur heute in Deutschland nicht mehr möglich wäre?“. Ein Experiment soll den Jugendlichen zeigen, wie Autokratie funktioniert. Was in spaßigen Gleichschrittübungen anläuft, entwickelt sich zu einer Bewegung mit festen Leitideen:„Macht durch Disziplin! Macht durch Gemeinschaft! Macht durch Handeln!“. Und plötzlich wird aus dem pädagogischen Spiel bitterer Ernst. Die „Welle“ wird zum Selbstläufer. Fasziniert von der ungewohnten Aktivität seiner Schüler begreift der Lehrer Rainer Wenger zu spät, dass das Projekt längst aus dem Ruder gelaufen ist.

Der Regisseur Dennis Gansel hat das gleichnamige amerikanische Erfolgsbuch von Morton Rhue, das auf einer wahren Begebenheit basiert, in die deutsche Gegenwart versetzt. In einem Gymnasium der heutigen Zeit werden die Konflikte, Sorgen, Ängste der jungen Generation genauso wie die ihrer Lehrer und Eltern thematisiert. Dabei steht ein zeitloses Thema im Vordergrund: Soziale Mechanismen in der Gruppe.

Mit der „Welle“-Bewegung verändert sich schlagartig die bisher bestehende Rollenverteilung unter den Schülern. Ausgrenzung und Integration funktionieren plötzlich nach anderen Regeln als zuvor. Der Außenseiter der Klasse fühlt sich in der „Welle“ zum ersten Mal anerkannt. Ein anderer findet in der Gruppe Ersatz für fehlenden Familienzusammenhalt. Frühere Leitfiguren werden in der neuen Gruppe unwichtig. So eröffnet der Rollentausch Chancen und Gefahren zugleich. Eine Dynamik entsteht, die den Lehrer Wenger in Staunen versetzt und mitreißt. Mehr und mehr greift das schulische Projekt auf das Privatleben jedes Einzelnen über. Lehrer wie Schüler müssen sich mit neuen Gefühlen und Erfahrungen auseinandersetzen. So lange, bis einige sich selbst verlieren und die „Welle“ eskaliert.

Der Film ist vorwiegend eine Beobachtung, weniger emotionales Miterleben. Und das lässt im Vergleich zu Dennis Gansels vorherigen hochemotionalisierten Film „NAPOLA“ erst einmal aufatmen. „Die Welle“ nimmt den Zuschauer nicht einfach bei der Hand auf einer Berg- und Talfahrt der Gefühle. Darin unterscheidet er sich auch wesentlich von der Buchvorlage. Der Film will nicht beweisen, dass eine Diktatur heute möglich ist, sondern zeigt, wie eine derartige Entwicklung aussehen könnte. Dafür stehen, vielleicht sogar zu sehr, die Alltagssorgen der Figuren im Vordergrund. Die Figuren sollen normal wirken. Sie sind Typen, wie sie an jeder Schule begegnen, und dadurch leider auch gehörig klischeehaft. Vom alternativen Mädchen über den Lederjacken-Punk und den Hip Hop-Gangster bis zum türkischen Immigranten sind alle dabei. Die Welt der Jugendlichen sprüht vor Anglizismen, modernen Technologien und Cliquen-Slang. „Wir wissen, wie ihr tickt“, scheint der Film allzu plakativ beweisen zu wollen. So sind die Figuren und Themen vollgepackt mit Aktualität und wirken an mancher Stelle reichlich konstruiert.

Nichtsdestotrotz: Der Film buhlt in der Vielzahl an zur Schau gestellten Themen zwar etwas offensichtlich um Authentizität, aber gerade durch diese Multiperspektivität vermeidet er auch, den Zuschauer in einem Gefühlssog verschwinden zu lassen. Man mag kritisieren, dass so anhand der Figuren die emotionale Kraft der Welle-Bewegung nicht nachvollziehbar wird. Das stimmt, der Film wirkt unbestreitbar etwas aufgesetzt. Es ist ein Funktionsschema, eine Art Gleichnis, das „Die Welle“ vorführt. Doch darüber denke ich lieber nach, als mir über die sentimentale Hintertreppe einmal mehr beweisen zu lassen, wie aus Unschuldigen Schuldige werden. Es ist dem Thema immer noch angemessener, kritische Reflexion zu provozieren, als sich in die Gefühlsmacht unreflektierter Identifikation zu flüchten.

Film-Facts:
Titel: Die Welle
Regie: Dennis Gansel
Darsteller: Jürgen Vogel, Frederick Lau, Max Riemelt, Jennifer Ulrich, Christiane Paul
Genre: Drama
Länge: 100 Minuten
Verleih: Constantin Film
Start: 13. März 2008

Artikel drucken