campus-web Bewertung: 4/5
   
Es sieht aus, wie ein europäischer Reisepass: Rot, mit goldener Beschriftung. Selbst die Dicke von 60 Seiten kommt fast hin. Normalerweise vermittelt dieses Dokument ein Gefühl von Sicherheit, Zugehörigkeit oder auch Beständigkeit. Das groß gedruckte Wort "KRIEG" wirkt daher besonders deplatziert. Doch umso wirkungsvoller kommt die Idee der in Kopenhagen geborenen Autorin Janne Teller bereits auf dem Umschlag ihres Minibuchs Krieg: Stell dir vor, er wäre hier rüber.

Es ist die Idee einer "verkehrten" Welt. Auf wenigen Seiten wird dem Leser ein Szenario ausgemalt, in dem er oder sie die Hauptrolle übernimmt. Neu ist die Geschichte nicht. Es geht um das, was man aus den Abendnachrichten kennt: Verlust von Besitz und Menschen, Leid, Schmerz, Vertreibung und Diskriminierung. Die meisten schalten dabei automatisch auf Durchlauf. Nur liegt genau hier der Knackpunkt des Buches. Es geht nicht darum was erzählt wird, sondern um das Wie. Die Perspektive ist eine andere. Außerdem kann man Tellers Krieg nicht entkommen. Er ist hier: bei uns.

Die Ursprungsfassung erschien bereits 2001 auf Dänisch. Damals wollte die Autorin, selbst Immigrantin, darauf aufmerksam machen, dass eine Flüchtlingsexistenz keine abstrakte Vorstellung ist. Äußere Umstände können die Beständigkeit des eigenen Lebens, die man als Europäer oft für unantastbar hält, in nur kurzer Zeit zunichte machen. Die nun erschienene Ausgabe wurde von der Autorin überarbeitet und die Ereignisse nach Deutschland verlagert.

In ihrer Vision ist das "Großexperiment" Europa an seinem Ende angelangt. Deutschland tritt aus der Partnerschaft aus und es kommt zum Krieg mit den Nachbarländern. Dabei entstehen keinerlei Parallelen zur realen Geschichtsvergangenheit. Vielmehr geht es darum zu zeigen, dass Reichtum und Macht relativ sind. Als Hauptprotagonist flieht man aus der Heimat nach Ägypten, sucht Schutz in den arabischen Ländern. Dort wird man skeptisch als Fremdkörper betrachtet. So sieht die Integrationsdebatte aus einem völlig anderen Blickwinkel aus.

Janne Teller – Krieg

Verlag: Hanser
Erschienen: 7. März 2011
Genre: Gedankenexperiment
ISBN: 978-3446236899
Bindung: Gebundene Ausgabe
Preis: 6,90 Euro
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Eine besonders kreative Erzählung ist das nicht. Doch werden hier gekonnt Fragen aufgeworfen und Anstöße zur Reflexion gegeben. Nicht zuletzt die aktuelle Lage zeigt: Seit der Flüchtlingsdebatte im Jahr 2001 hat sich nicht viel geändert an der exklusiven Mentalität der Europäer. "Die kommen hier nicht rein" bleibt weiterhin der Standardsatz zum Thema. Zu Recht fragt sich die Autorin wer wir eigentlich sind. Wieso wir es einem ausländischen Vater verbieten können, seine Kinder aus einem von Krieg und Tod gezeichneten Land herausbringen zu wollen.

Dieses kurze Buch ist ein vorwurfsvolles Fragezeichen.

Alle Infos zum Buch und der Autorin gibt es hier. Auf der Homepage beantwortet Janne Teller selbst Fragen der Leser.




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