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Nutzlosigkeit ist irgendwie Kult. Da wäre zum Beispiel die Coolness, die durch Filme wie "Trainspotting" und "Clerks" vermittelt wird. In der Musik gibt's den Punk, der einfach dagegen sein wollte: Junge Menschen klinkten sich einfach mal aus der Gesellschaft aus. Aus heutiger Sicht erfordert das dann doch zuviel Wut, zuviel Überzeugung und zuviel Individualität in der Kleidungsgestaltung – kurz gesagt: zuviel Anstrengung. Da ist eine Existenz als "kiffende couch potato" netter. Und aus dem Radio tönt die Hymne des Versagens: "Kapitulation" von Tocotronic. Man nimmt die eigene Bedeutungslosigkeit wehrlos hin, ja ist sogar noch stolz darauf. Was soll man sonst machen? Kapitalismus macht alles kaputt, auf Fernseher und Fast Food will man aber nicht verzichten. Politiker machen sowieso, was sie wollen, aber selber aktiv werden ist zu anstrengend. Die Welt geht den Bach runter und alle warten auf den Superhelden aus dem Action-Film. Nur sucht der gerade lustige Videos bei YouTube, um sie nachher auf Facebook zu posten. Michael Sonntag, seines Zeichens Hauptfigur und Erzähler in Tag der geschlossenen Tür hat es nicht so mit moderner Technologie und neuen Trends – E-Mails sind seine computertechnische Höchstleistung und ein Handy kann er nur unter Anstrengung bedienen. Trotzdem steht er zeitlos für den Kult der Nutzlosigkeit. Dass er zusätzlich mit Hamburg einen "kultigen" Wohnort und mit Rocko Schamoni einen Kult-Autor mitbringt, garantiert Glückseligkeit beim „üblichen“ Publikum. Denn das bekommt, was es will: Pop-Literatur, abgepackt in schön kurze Kapitel und gespickt mit absurdem Witz. Einfach nicht groß drüber nachdenken. Worüber auch? Es passiert ja nix. Sonntag lebt vor sich hin, spricht von seinen Beobachtungen, seinen schriftstellerischen Versuchen, seinen nächtlichen Träumen und seiner Liebe zu einer Handy-Verkäuferin, die ihn gar nicht kennt. Die Ziellosigkeit der Hauptfigur geht jedoch auch auf das Buch selbst über. Lacht man über die Absurdität der Gesellschaft, die Sonntag von außen betrachtet (und so Shopping als Lebenserfüllung unter die Lupe nimmt)? Lacht man über die Absurdität von Sonntag, der durch Schicksal oder Dummheit nicht mit der Gesellschaft klar kommt (und sich von seinem Kumpel Nowak in hirnrissige Geschäftsideen verwickeln lässt)? Lacht man über Sonntags Einfallsreichtum, sein Leben in Nutzlosigkeit zu leben (zum Beispiel dadurch, seine Arbeitsstellen ständig durch glorifiziertes Krankfeiern verlieren zu wollen)? Lacht man über Sonntag, weil der offensichtlich nicht ganz richtig in der Birne ist (und ernsthafte Gespräche mit einer toten Fliege führt)? Oder soll das Lachen im Halse stecken bleiben, weil Sonntag selbst für den maroden Zustand der Gesellschaft steht (wenn er einen HIV-Test hinauszögert, weil er das Ergebnis lieber gar nicht wissen will)? Fragen, Fragen, nichts als Fragen, liegen leider schwer im Magen Rocko Schamoni – Tag der geschlossenen Tür Verlag: Piper Genre: Pop-Literatur Erschienen: Januar 2011 ISBN: 978-3492054218 Bindung: Softcover Seiten: 261 Preis: 16,95 Direkt bestellen Die Antworten auf diese Fragen muss man natürlich für sich selbst finden. Fast alle Erzählstränge werden abgeschlossen. Nur Affäre Nora, die erfahren will, ob sie ihren Lover nun mit AIDS angesteckt hat oder nicht, wird vergessen, nachdem Sonntag das Testergebnis für sich selbst durchgegangen ist. Die Ebene der einfachen Erzählung gibt dem Leser so praktisch alles, was er sich von 260 Seiten Unterhaltungsliteratur wünschen kann. Den Sinn dahinter erfährt man dagegen nicht, wohinter natürlich ein Prinzip steckt: Jeder muss selbst entscheiden, wie er zu dem Nichtsnutz steht. Sind seine Ausflüge in die Welt der Schriftstellerei eine platte Verballhornung der Verlage oder ein Zeichen seiner aufrichtigen Unfähigkeit? Ist Sonntag an den Zwängen der Gesellschaft zerbrochen oder ist er aufrichtig geisteskrank? Für Letzteres spricht vor allem die Episode mit der toten Fliege. Diese Offenheit ist nur auf den ersten Blick ein gutes stilistisches Mittel. In Wirklichkeit macht Schamoni es so jedem Leser recht. Jeder soll sich amüsieren im Kult der Nutzlosigkeit. Es scheint, als wolle der Autor dem Leser zurufen: Nimm mit, was dich anspricht! Feiere deine eigene Unzulänglichkeit oder zeige mit dem Finger auf alle, die zu doof sind, was aus sich zu machen. Oder beides gleichzeitig. Aber immerhin schreibt Schamoni flüssig – selbst, wer mit dem Inhalt nicht viel anfangen kann, hat keine Schwierigkeiten, die Buchstaben auf dem Papier zu verstehen. Denkanstöße kann man von Pop-Literatur nicht erwarten. Rocko Schamoni und die Nutzlosigkeit sind halt Kult. Noch Fragen? Auf dem Cover von Fatboy Slims Hit-Album "You've Come A Long Way, Baby" sieht man einen ziemlich übergewichtigen Mann. Auf seinem T-Shirt steht "I'm #1 so why try harder". Und was diese pop-kulturelle Anekdote mit dem Buch, seiner Hauptfigur, dem Autor, der Gesellschaft, dieser Rezension und der Nutzlosigkeit im Allgemeinen zu tun hat, lassen wir jetzt mal im Sinne der Pop-Literatur offen im Raum stehen.
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