Ego Tyrannos und Sisyphos
   
 

Sisyphos
   
 

Ego Tyrannos und „die Welt“
   
„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ (Albert Camus, Der Mythos von Sisyphos)

Kristóf Szabó inszeniert in seinem intermedialen Werk den Mythos des Sisyphos und begibt sich auf die Suche nach dem Glück. Dem Glück, das auch der sisyphossche Mensch sein Leben lang erstrebt. Er muss sich des eigenen Egos entledigen und wahres Mitgefühl verspüren, um Glück von Dauer zu empfinden.

Dies ist auch das größte Geheimnis der Götter: Sie sind unglücklich, da sie ihrem eigenen Ego unterlegen sind und das vermag Sisyphos zu sehen. Sisyphos verrät das Geheimnis der Götter und wird von Zeus bestraft: Ausgestattet mit der Gabe der grenzenlosen Empathie soll Sisyphos von nun an die unerträgliche Vergeblichkeit der Bemühungen des Menschen um dauerhaftes Glück nachempfinden, indem er einen Felsen rollt, dem die Leiden der Menschen sein Geweicht verleihen. Sisyphos soll erkennen, dass ihn nur ein starkes Ego vor den mitempfundenen Qualen schützen kann.

Er verzweifelt über seine Strafe und ruft sein Ego an, dem er von nun ab für immer dienen möchte. Er verliert das Mitgefühl und die Erkenntnis des Strebens nach Glück jeder Kreatur.
So lässt Sisyphos seinen Hund schlachten und seine Gliedmaßen ins Opferfeuer für Ego werfen. Ego bietet ihm die Welt – er nimmt das Angebot an: und bald ernährt sich der befreite Sisyphos vom Rauch der brennenden Welt.

Steht nun Sisyphos Scheitern für das Unvermögen des Menschen, den Egoismus zu überwinden? Oder sind Revolutionen und Proteste unserer Zeit etwa nur Ausbrüche aus der Tatsache der eigenen Unterlegenheit?

Szabós Inszenierung ist bewegt und bewegend – in postmoderner Tradition verwischen die Grenzen zwischen klassischem Theater, Video Tanz und Bild. Die Kulisse ist abwesend und dient als Projektionsfläche für die Phantasie der Zuschauer. Bildgewaltig erscheinen die 3-D Animationen und Zeichnungen an der hinteren Bühnenwand. Die Mischung aus Tanz und Bewegungsmomenten lässt Mitgefühl mit Boda János (Sisyphos, Tanz) zu. Das Leiden des Sisyphos wird durch ständige Wiederholungen von Bewegungen untermalt.

Der Kampf zwischen Empathie und Ego Tyrannos kommt ohne Dialog aus – lediglich eine Stimme aus dem ‚Off’ gibt Hinweise auf den Handlungsverlauf. Die Welt voller Leiden symbolisiert eigenartigerweise ein kleiner roter Ball mit Noppen, der von Ego Tyrannos leicht zu bewegen ist und den Sisyphos sich winden lässt. Szabós Zeichnungen erinnern ein wenig an Kandinsky und man denkt auch unvermittelt an Pina Bauschs Tanztheater – der Zuschauer ist konfrontiert mit Versatzstücken, die es zusammenzufügen gilt. Wahrlich alle Sinne werden gefordert.

Der Aufstand des 17. Juni 1953 in Berlin, die 68er Bewegung sowie der Zusammenbruch der DDR 1989 dienen als Beispiele für den Drang der Menschen nach Selbstbestimmung, für die Perspektive auf Glück. Szabó schreibt dazu: „Die Revolution ist der Beweis, dass der Mensch weiß, er ist geboren, um glücklich zu sein.“ Mithilfe dokumentarischen Videomaterials, eingebunden in eine Comic-Animation versucht Szabó die Ereignisse in seine Inszenierung einzubinden. Leider lässt GLÜCK im weiteren Verlauf an solchen Zitaten vermissen und der Zuschauer fragt sich nach den Zusammenhängen mit dem Mythos von Sisyphos. Nur die Musik (beispielsweise Hendrix) lässt Rückschlüsse auf die thematisierte Zeit zu.

Letztlich hätte es keinen besseren Ort als das Arkadas Theater in Köln-Ehrenfeld für die Uraufführung von GLÜCK geben können. Die Düsterkeit der Bühnen- und Zuschauerräumlichkeiten stehen im Kontrast zum Titel des Stücks und transportieren eine eigentümliche Atmosphäre. Etwa 65 Minuten wird man in den Bann der Geschehnisse auf der Bühne gezogen – aber es bleiben auch Rätsel und ein Stück weit Verstörung. Nach dem Ende des Stücks versammeln sich die (leider wenigen) Zuschauer im Foyer des Theaters und man sieht in fragende Gesichter.

Szabó schafft eine interessante Mischung aus griechischer Mythologie und Ereignissen unserer Zeit und versammelt sie bildgewaltig unter dem abstrakten Begriff vom Glück.
GLÜCK verlangt große Anstrengungen des Zuschauers, aber es lohnt sich – ein kleines Stück des alltäglichen Glücks scheint sicher.

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